Blackout
drückte ich die Tür auf und betrat das Zimmer.
Das Bett stand mitten in dem großen Raum, übertrieben weit hochgestellt und am Rand mit metallenen Gitterstäben versehen. Es war zum Fenster hin gedreht worden, so dass Janice den leicht abfallenden Hügel mit den Bäumen sehen konnte. Das Zimmer roch nach Essen, schweißgetränktem Leinen und menschlichen Ausscheidungen, die nicht ganz aus den Bettpfannen und den Decken herausgewaschen worden waren. Der darüberliegende Geruch von antiseptischem Reinigungsmittel und die diversen Monitoren und Infusionsschläuche, die hier hervorsprossen wie elektronische Blumen, versetzten mich in den Raum zurück, in dem ich selbst vor vier Monaten aufgewacht war, um gleich darauf Genevièves Blut unter meinen Fingernägeln zu entdecken.
Janice wirkte weich und füllig, ihre Kahlheit ließ ihren Kopf besonders rund aussehen. Sie hatte keine Wimpern oder Augenbrauen, ihre tief in die Höhlen gesunkenen blauen Augen stachen deutlich und lodernd hervor. Ihr Frottee-Oberteil klaffte über ihrer Brust auseinander und enthüllte die knochigen Linien über ihren Brüsten. Ihre Lippen waren feucht, ihre schlaffen Wangen wirkten wie die eines Kindes. Am Infusionsständer hing ein Plastikbeutel mit einer dunkelroten Flüssigkeit, auf deren Oberfläche sich leichter Schaum gebildet hatte. Ich vermutete, dass aus diesem Beutel das frische Knochenmark in ihre Venen tropfte. Spritzen, Glasfläschchen mit Tabletten und andere Behälter stapelten sich auf einem der Metalltabletts, die an der Wand standen. Von den Etiketten sprangen mir gewichtige Namen in wichtigtuerischen Pharma-Buchstaben entgegen.
Cytotoxin. Busulfan. Cyclosporin.
Rechts daneben klapperte eine geschlossene Tür leicht in der Zugluft.
Sie hob einen ihrer ausgelaugten Arme, von dem die schlaffe Haut herabhing, als wollte sie mich wegscheuchen. Ihr Mund öffnete sich langsam, und sie versuchte unter größter Anstrengung immer wieder ein Wort zu formen. Ihre Stimme war fast schon erloschen, und ihre Lippen waren ganz steif, bedeckten ihre Zähne und verwandelten ihren Mund in ein zitterndes schwarzes Loch, die Parodie eines Schreis. Es war unmöglich, an ihr vorbeizugehen, ohne sie zu beachten, also trat ich näher heran, da ich das Gefühl hatte, diesem Sterbebett einen gewissen Respekt schuldig zu sein. Zu meinem großen Schrecken versuchte sie, den Namen ihres Ehemanns zu rufen. Plötzlich wurde ich mir erschrocken wieder des Wagenhebers bewusst, den ich immer noch in der Hand hielt.
»Nein«, flüsterte ich. »Ich tue Ihnen nichts.«
Rasselnde Worte, so trocken, dass sie kaum mehr hörbar waren. »Er … soll … aufhören.«
Ich ließ sie allein in ihrem Bett. Die hintere Tür ging auf einen kurzen Flur, über den man zu einer anderen Tür gelangte, die nur angelehnt war. Ich horchte nach irgendeinem Knarzen im alten Haus, das mir Lloyds Rückkehr ankündigen würde, und bewegte mich mit kribbelnden Beinen vorwärts, bis ich in das dämmrige Zimmer blicken konnte. Es war, wie ich Schritt für Schritt erkannte, eine Art Gästesuite, bestehend aus einem kleinen Schlafzimmer mit einer Küchenzeile und einem Badezimmer. Wie eine verwunschene Baustelle war es mit Plastik und Stoffbahnen verhüllt. Die Fenster und eine gläserne Schiebetür, die auf den Hinterhof hinausging, waren mit dunkelgrünen Decken abgedeckt. Seine Frau wusste wahrscheinlich nicht, wer und was alles durch diesen Hintereingang kam und ging, wenngleich sie offensichtlich ahnte, dass irgendetwas nicht ganz mit rechten Dingen zuging. Eine Plastikplane, die sorgfältig auf dem Boden ausgebreitet worden war, als sollte demnächst das Zimmer gestrichen werden, rutschte unter meinen Schuhen, als ginge ich über Eis. Blutstropfen waren darauf getrocknet, viele davon schon älteren Datums. Ich stieg über die Schlangen aus durchsichtigen medizinischen Schläuchen hinweg. Eine Gasflasche lag auf die Seite gekippt auf dem Boden. Eine schmale Maschine, in der Größe eines altmodischen Heizofens, schnurrte vor sich hin. Eine Apparatur zur Aufbereitung des Knochenmarks, wie ich aus den Beschriftungen der Aufkleber und Knöpfe schloss. Und sie war gerade in Betrieb. Auf dem Resopaltisch lagen Schachteln mit Gummihandschuhen, eine Sammlung dicker Spritzen, ein zusammengerolltes weißes Baumwollseil und verkrustete Transfusionsbeutel. Auf dem Metalltablett war auch ein gebogenes Filetiermesser von Forschner aus rostfreiem Stahl. Und direkt dahinter auf einem
Weitere Kostenlose Bücher