Blaine McCracken 6: Der Tag Delphi
Schatten auf das Gitter. Blaine hörte, daß im Schloß ein Schlüssel gedreht wurde. Anscheinend hatte die AWB den Mittag einfach vorgezogen.
Das Gitter wurde hochgehoben. »Schnell, Kumpel!« rief eine Stimme. »Wir wollen Sie hier rausholen!«
»Nein«, sagte Blaine heiser.
»Was?« Die Stimme klang jetzt wütend, und das Gesicht, zu dem sie gehörte, senkte sich.
»Wir würden es auf keinen Fall schaffen. Nicht auf diese Weise.«
»Aber …«
»Hören Sie zu.«
Der Mann tat wie geheißen, rief dann ein paar Kameraden herbei und rannte davon. Die Minuten schleppten sich dahin, während der Kampf anhielt. Dann würde das Gitter wieder angehoben, und jemand warf ein kleines Päckchen in das Loch.
»Hoffentlich wissen Sie, was Sie tun, Kumpel.«
»Hoffentlich wissen wir beide das.«
»Verdammte Kaffern!« schrie Dreyer; die Browning mit dem Elfenbeingriff hielt er entsichert in der Hand. Er sah den beiden Hubschraubern nach, die in nördliche Richtung flohen; aus dem einen quoll eine schwarze Rauchwolke, und er verlor Öl. Offensichtlich war die Schlacht vorbei. Neben ihm hielt Colonel Smeeds Jeep an.
»Verluste?« fragte Dreyer.
»Vielleicht ein Dutzend Verwundete. Keine Toten. Sie wollten uns lediglich etwas einheizen.«
»Matabu hat Whiteland gerade zum erstenmal angegriffen, Colonel. Das gefällt mir nicht. Und mir gefällt noch weniger, daß die Kaffern jetzt über Hubschrauber verfügen.« Dreyer kam plötzlich ein ganz anderer Gedanke. »Was ist mit unseren Gefangenen?«
»Der steht unter sicherer Bewachung.«
»Davon will ich mich selbst überzeugen«, sagte Travis Dreyer und stieg in den Jeep. »Wir haben bald Mittag.«
Smeed schob den Schlüssel ins Schloß und öffnete das Gitter, während Dreyer hinter ihm wartete. Eine Wache zog das Gitter hoch, damit Smeed in das Loch schauen konnte.
Dreyer sah, daß Smeeds Rücken sich versteifte.
»Was ist los!« fragte Dreyer. »Was ist los?«
Er schob Smeed beiseite und sah ebenfalls in das Loch. »Verdammte Scheiße!« brüllte er dann.
Die verkrümmte Gestalt in der Khaki-Uniform im Loch war die eines AWB-Soldaten.
»Finden Sie McCracken!« schrie er Smeed an. »Legen Sie ihn in Eisen, und zwar sofort!«
Das Chaos, das auf den Angriff der Hubschrauber folgte, war nichts im Vergleich zu dem, das sich nun entwickelte. Auf dem gesamten Komplex strömten AWB-Soldaten aus und durchsuchten das Unterholz nach dem geflohenen Gefangenen. Dreyer verfluchte sich, weil er sich für die dramatische Variante entschieden hatte, anstatt seinen Gefangenen einfach in der vergangenen Nacht hinrichten zu lassen, als sich die Gelegenheit geboten hatte. Nun sehnte er sich nach einer zweiten Chance, McCracken ins Visier zu bekommen. In seinem geschwächten Zustand konnte der Mann nicht weit gekommen sein. Dreyers Leute würden ihn finden.
Auf McCrackens Anweisung hin hatten die drei ECC-Spitzel, die zu seiner Bewachung abgestellt waren, ihm eine Khaki-Uniform der AWB und einen Sam-Browne-Halfter besorgt und waren dann zurückgekehrt, als die anderen Soldaten in alle Richtungen ausströmten, um nach ihm zu suchen. Jeder, der sie beobachten sollte, würde vermuten, daß sie lediglich einen bewußtlosen Kameraden aus dem Loch holten, der dem entflohenen Gefangenen zum Opfer gefallen war. Einer legte eine Trage auf den Boden. Ein anderer tat so, als würde er McCracken aus dem Loch ziehen.
»Machen sie es sich bequem«, sagte er und wollte Blaine auf die Trage legen.
»Nicht ich – Sie.«
»Wie bitte?«
»Wir tauschen die Plätze. Jetzt komme ich allein klar.«
Der Inhalt einer vollen Wasserflasche, die mit der Uniform in das Loch geworfen worden war, hatte auf McCracken eine wundersame Wirkung gehabt. Er fühlte sich munter und stark, und die verlorene Körperflüssigkeit war wenigstens teilweise ersetzt worden.
»An der Straße, die nach Whiteland führt, wartet ein Wagen auf Sie«, erklärte die vertraute Stimme seines Retters. »Ein schwarzer Mercedes.«
»Wer sind Sie?«
»Freunde.«
Blaine zog den Gürtel enger. »Sie werden dahinterkommen.«
Zwei der Männer hoben die Trage mit dem dritten darauf hoch.
»Wir werden Ihnen bald folgen.«
Sie liefen los, und McCracken wandte sich in die entgegengesetzte Richtung. Bei hellem Tageslicht war es selbst in diesem Chaos nur eine Frage der Zeit, bis ihn jemand erkennen würde, was durch den Umstand erleichtert wurde, daß kaum ein Soldat einen Bart trug, er hingegen doch. Je schneller er aus Whiteland
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