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Blaine McCracken 6: Der Tag Delphi

Titel: Blaine McCracken 6: Der Tag Delphi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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Constitution Avenue drängten. Kristen bemerkte, daß ein paar Plakate unterhalb des Bildes mit dem Wahljahr versehen waren. Nur war es diesmal nicht 1996; da stand 1994.
    Die aufbrodelnde Unzufriedenheit hatte sich zu einem kochenden Kessel des militanten Protestes gesteigert. Jeder, der sein eigenes Süppchen kochen wollte, meldete sich lautstark zu Wort. Und es sah so aus, als wollte jeder sein eigenes Süppchen kochen. Da sie jemanden brauchten, um den sie sich scharen konnten, wandten sie sich Sam Jack Dodd zu, der nichts tat, um ihre Anstrengungen abzuleiten oder zu entmutigen. Er verhöhnte öffentlich jene Politiker, die es zugelassen hatten, daß die Nation in die gegenwärtigen Tiefen abgesunken war. Er sprach von einer Maschine, die einfach nicht mehr gut genug arbeitete und gründlich überholt werden mußte, bevor sie völlig zusammenbrach. Das Land nahm diese Botschaft bereitwillig auf, war bereit, die drastischen Veränderungen zu akzeptieren, die er in groben Umrissen skizzierte, alle Veränderungen.
    »Wen brauchen wir?«
    »Sam Jack Dodd!«
    »Wann brauchen wir ihn?«
    Kristen kurbelte das Fenster hoch, schnitt damit den Sprechchor ab und sah nachdenklich auf die Gesichter derjenigen, die Dodd-Plakate hochhielten, während sie langsam an dem Taxi vorbeizogen. Durch mehr als ein Jahrzehnt in Washington, ihre Jahre in Georgetown eingeschlossen, hatte Kristen die Fähigkeit erworben, das Anliegen einer Gruppe schon an ihrer Zusammensetzung zu erkennen. Das klappte nicht mehr. Diese Gruppe war überhaupt nicht homogen, ließ sich nicht bestimmen. Alles war vertreten, als wäre es der zufällige Durchschnitt aus dem ganzen Land, wie er von Meinungsforschern benötigt wird. Das war einfach nicht fair – oder vielleicht doch. Seit Generationen hatte Washington die Gesetze für die Leute geändert. Jetzt wollten die Leute die Gesetze für Washington ändern.
    Der Verkehr kam wieder in Bewegung, doch die ständigen Stopps waren zum Verrücktwerden. Der Anruf ihres Bruders hatte all die Befürchtungen, die sie in der letzten Zeit belastet hatten, weiter gesteigert. Es galt jetzt mehr denn je, daß nichts mehr einen Sinn ergab. Und es würde nicht wieder besser werden, das wußte sie, bevor sie ihren Bruder gefunden hatte.
    Ihre Eltern waren vor zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, kurz vor Davids erstem Jahr im College. Kristen sah in dieser Tragödie die Ursache für den ziellosen Verlauf, den Davids Leben seither genommen hatte. Er verließ die Schule für ein Semester, war dann auf eine andere gegangen und nahm jetzt wieder ein Semester frei. Um seinen Kopf frei zu bekommen, hatte er ihr gesagt. Es hatte sie rasend gemacht, daß er keine vernünftigen Ratschläge annehmen wollte. David war schlau, sogar wirklich gut. Senatorin Jordan hatte angeboten, ihm den Weg nach Georgetown zu ebnen; dann wäre er wenigstens in ihrer Nähe gewesen. Doch David hatte das nicht gewollt. Sie waren immer völlig entgegengesetzte Persönlichkeiten gewesen, und der Tod ihrer Eltern hatte das noch verstärkt. David, immer der unabhängige Geist, suchte seine Freiheit. Kristen, immer diszipliniert, suchte Sicherheit in einem reglementierten Leben.
    Für Senatorin Jordan zu arbeiten war ihre einzige Bestimmung geworden. Sie hatte eine Aushilfstätigkeit mit soviel Schwung und Ausdauer hinter sich gebracht, daß sie in nur drei Jahren zur Bürochefin des Senators aufgestiegen war, eine Position, die sie seit der Wahl von 1992 einnahm. Der Sechzehn-Stunden-Tag, die ununterbrochene Kette von Anrufen, die Reiseroute der Senatorin so auszuknobeln, daß alles paßte – Kristen genoß das alles. Sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß sie ebenso wie David nur davonlief – nur eben in eine andere Richtung.
    Der Rest des Nachmittags verging wie im Flug. Es gab zwei Konferenzschaltungen und drei Presseerklärungen zu verschiedenen Themen für unterschiedliche Medienbereiche. Kristen brachte alles ohne viel Anteilnahme hinter sich, die Augen immer wieder auf das Telefon gerichtet.
    »Ein Mr. Gathers auf 410«, verkündete schließlich die Stimme der Empfangsdame über die Sprechanlage.
    Kristen schnappte sich den Hörer. »Paul?«
    »Ja, ich bin es tatsächlich, Kris.«
    »Was sind das für Geräusche? Du klingst wie von weit weg.«
    »Ich bin nicht im Büro. Hör mal, kannst du weg, vielleicht in etwa einer Stunde?«
    »Natürlich.« Ihr Herz raste. Ein Kloß steckte in ihrem Hals, und sie hatte Mühe, die

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