Blamage
wusste ich gar nicht mehr, was ich peinlicher fand, die Tatsache, dass mein Vater über Geld geredet oder dass ich ihn gemaÃregelt hatte.«
So peinlich, dass es wehtut â Schamangst und Isolationsfurcht
»Peinlich« hatte in früheren Jahrhunderten eine sehr konkrete (und reichlich martialische) Bedeutung auf der körperlichen Ebene: Eine »peinliche Befragung« war ein anderer Ausdruck für Folter. »Pein« drückte Schmerz und Leiden aus (wie im englischen pain ), gerade im Zusammenhang mit den früher verbreiteten grausamen Körperstrafen. In dem MaÃe, in dem Gewalt und körperliche MaÃregelung langsam aus dem Justizwesen und dem Alltagsleben zurückgedrängt wurden, veränderte sich auch die Bedeutung von Peinlichkeit. Nicht mehr der Schmerz oder die Angst vor der Folter schwang darin mit, sondern die Angst vor dem sozialen Prestigeverlust, vor dem Ausschluss, der Ãchtung. In der nunmehr bürgerlichen Gesellschaft geht es nicht mehr in erster Linie um Körperkraft und Faustrecht, jetzt werden Reputation, Vernetzung, äuÃerliche Attraktivität, Bildung und Kommunikationsstärke verlangt, um erfolgreich zu sein. Da kann ein Gesichtsverlust nicht nur enorme Probleme bereiten, er kann sogar als existenzielle Bedrohung wahrgenommen werden.
Das Peinlichkeitsempfinden ist deshalb so wichtig, weil bei jeder noch so kleinen, nebensächlichen Blamage die Urangst der totalen sozialen Isolation aktiviert wird â meistens nur für einen Moment, bis es dem Betroffenen gelingt, die Situation zu erfassen und ihre Folgen einzuschätzen oder unter Kontrolle zu bringen. Doch in diesem kurzen Moment bekommt jeder einen Eindruck davon, was es bedeuten würde, auÃerhalb der Gruppe, auÃerhalb der Gesellschaft zu stehen. Paradoxerweise äuÃert sich die Furcht vor der sozialen Blamage bei vielen Betroffenen nun wieder körperlich: mit Zittern, Stammeln, fahriger Motorik. Der Körper ist im Alarmzustand, vollführt sinnlose Aktionen und Ãbersprungshandlungen, man kratzt sich, geht wortlos weg, lacht unmotiviert auf. Manche leiden so stark, bis buchstäblich die Schmerzgrenze erreicht ist (»Das war so peinlich, das tut schon weh!«). Nach als peinlich empfundenen Situationen versuchen die Betroffenen oft, die Situation im Nachhinein zu retten, indem sie deutlich zeigen, dass ihnen der Regelverstoà oder das eigene Versagen bewusst ist. Stottern, Schwitzen, vor allem das Erröten, dienen deshalb als wichtige soziale Signale der Beschwichtigung und des Wunsches nach Reintegration in die Gemeinschaft.
Diese Emotion ist deshalb so heftig, weil in der Situation des Schämens archaische Ãngste zum Vorschein kommen. Es ist die Angst davor, nicht mehr von den anderen beachtet und akzeptiert zu werden. Wenn uns die anderen verachten, sich von uns abwenden, wird unser Recht auf Anwesenheit, unser Recht darauf, ein soziales Wesen zu sein, bestritten. Wenn uns andere nicht mehr lieben und achten, verlieren wir schlieÃlich auch die Selbstliebe und Selbstachtung, der soziale Tod ist in jeder Hinsicht existenzbedrohend. Bei jeder Beschämung, bei jeder Peinlichkeit, und sei sie auch noch so nebensächlich, schwingt diese Angst mit. In der peinlichen Situation, in der man sich bloÃgestellt hat oder sich so fühlt, möchte man sich zunächst unsichtbar machen, als diejenige Person, die sich danebenbenommen hat, verschwinden und jemand anderes sein â deshalb die Körpersignale des Duckens, des Wegschauens, des Bedeckens der Augen. Man könnte fast sagen: Symbolisch löscht man sich selbst aus, um dann später die Chance auf einen Neuanfang zu haben. Dieses »Totstellen« ist auch eine Reaktion darauf, dass wir uns in der Situation der Blamage vollkommen wehrlos und unterlegen fühlen. Zwar haben wir in den allermeisten Fällen keine physische Gewalt zu befürchten, doch fürchten wir die Ãberlegenheitsgefühle und -gesten der anderen, zumal sich diese ja in Ãbereinstimmung mit dem eigenen Ãber-Ich befinden und damit auch mit unserer inneren »Selbstzwangsapparatur«, wie sie der Soziologe Norbert Elias nennt, welche »dem Individuum durch Andere, von denen es abhängig war und die ihm gegenüber daher ein gewisses Maà von Macht und Ãberlegenheit hatten, herangezüchtet worden war«. 16 Dazu mehr im nächsten Kapitel.
Hinter dem Peinlichkeitsempfinden steht drohend die
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