Blamage
Sitzplätze. Die enttäuschende Kulisse von knapp 4000 Fans war einer der groÃen Rockbands der 90er-Jahre unwürdig. Frontman Billy Corgan vermutete: »Viele unserer Fans von damals müssen gestorben sein, ansonsten wären sie sicher heute hier. Ich kann ihre Geister spüren.«
»Wer den Schaden hat â¦Â« â
Schamlust und Schadenfreude
Blamagen sind nicht nur Quelle von Leid und Schrecken, sondern können auch Lust und Fröhlichkeit hervorrufen â natürlich vor allem bei denen, die nicht betroffen sind. Da gibt es zum einen das Phänomen der Schadenfreude, zum anderen die Schamlust. Zunächst zur Schadenfreude, im Ãbrigen eines der wenigen deutschen Fremdwörter in der englischen Sprache: Diese wird selten unverhohlen geäuÃert â denn wer sich lautstark über denjenigen belustigt, dem gerade ein Missgeschick widerfahren ist, macht sich selbst zur peinlichen Figur. »Dabei ist Schadenfreude«, so die Psychoanalytikerin Brigitte Boothe, »eine enorme Lustprämie, die im Anblick von Fremdschädigung einen kurzen Moment freien Gelächters ohne Gewissensdruck beschert.« 18 Trotzdem gilt es als grob und primitiv, einfach loszuprusten. Ãber die Fauxpas der anderen macht man sich deshalb eher klammheimlich lustig â oder man lebt seine Schadenfreude anonym aus, indem man peinliche Klatschgeschichten über Stars und Prominente konsumiert und sich an deren Pannen ergötzt. Eine ganze Kulturindustrie hat sich der Befriedigung der Schadenfreude angenommen: unzählige Filme, Bücher, Shows und Fernsehsendungen, Internetplattformen, Comedians und Clowns, denen gemeinsam ist, dass sie die Peinlichkeiten anderer aufdecken und selbst am eigenen Körper durchexerzieren, um ihr Publikum zu unterhalten. Endlich einmal, beim Betrachten peinlicher Videoclips, beim Ansehen einer Show, deren Hauptinhalt in der Blamage der Kandidaten besteht oder beim Genuss von Slapstick-Komödien können wir uns nach Herzenslust über die Missgeschicke und Schadensmeldungen anderer freuen.
Schamangst und Peinlichkeitsempfinden sind aber auch für den Betroffenen keineswegs rein negative Gefühle, hinter ihnen verbirgt sich oftmals auch eine ambivalente Lust. Die psychoanalytische Triebtheorie deutet Scham, wie schon erwähnt, als Reaktion gegen exhibitionistische Triebe. Schamgefühle stellen sich demnach ein, wenn der Wunsch, sich (in sexueller oder sonstiger, allgemeiner narzisstischer Hinsicht) gegenüber anderen zu exponieren, vom Ãber-Ich oder von äuÃeren Faktoren unterdrückt wird: Wir wollten stolz und freudig etwas von uns zeigen und wurden zurückgepfiffen, was uns dann unangenehm ist. Häufig steckt hinter einem Peinlichkeitserlebnis ein Konflikt. Manche Blamagen sind durchaus erwünscht, sie entstehen aus dem Bedürfnis, einen gewissen Aspekt der eigenen Persönlichkeit, einen Wunsch, eine Neigung scheinbar zufällig durchscheinen zu lassen, um sich dann anschlieÃend für die Blamage zu entschuldigen. In diesem Fall verdeckt der scheinbar peinliche Fauxpas den uns noch peinlicheren Eindruck, wir könnten extrem eitel oder exhibitionistisch veranlagt sein. Ãhnliches widerfährt demjenigen, der gelobt wird, und diese Auszeichnung errötend und tiefstapelnd entgegennimmt. Oder demjenigen, der, spontan aufgefordert in Gesellschaft eine Rede zu halten, sich erst verlegen ziert, dann aber doch lustvoll annimmt, weil es zwar die Gefahr einer Blamage, aber auch einen narzisstischen Gewinn in sich birgt. Verlegenheit und Erröten verbergen vor unseren Mitmenschen die Tatsache, dass wir uns in derartigen Situationen eigentlich sehr geschmeichelt fühlen und diese Hervorhebung auÃerordentlich genieÃen. Routinierte Schauspieler und Politiker nehmen Huldigungen dieser Art natürlich professionell zur Kenntnis, Lob lässt sie innerlich bisweilen kalt, und die Erfolgsgewöhnung mindert die Schamlust in diesem Fall erheblich.
Ebenso ambivalent wirkt Schamempfinden in der Erotik, wo das Wechselspiel aus Verhüllen und Entblättern, Abweisen und Einladen, Hin- und Wegschauen seinen ganz eigenen Reiz entfaltet. Flirtspezialistinnen wie Heike Blümner empfehlen den Damen folgende Performance: »Stellen Sie Augenkontakt her und fixieren Sie ihn mit einem kurzen eindringlichen Blick. Und schauen wieder weg. Nun lassen Sie ein wenig Zeit verstreichen und versuchen dann, erneut Blickkontakt
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