Blamage
einiges auf steigende Zahlen hin. 83 Neben den neuen Kommunikationsmitteln, die Beziehungen auf Distanz halten, spielt bei der Zunahme der Schüchternheit die Tatsache eine Rolle, dass es immer weniger soziale Rituale gibt. Traditionelle Rituale, die etwa den Ãbergang ins Erwachsenenalter oder die Annäherung der Geschlechter ermöglichen, verschwinden aus dem Alltag. Die Betroffenen verlernen die direkte Kontaktaufnahme, besonders zum anderen Geschlecht, worauf das Phänomen der date anxiety hinweist (einer speziellen Angst, sich mit einem potenziellen Partner zu verabreden), oder sie erlernen sie nicht mehr in einem befriedigendem MaÃ, so dass sie Begegnung face to face ab einem bestimmten Zeitpunkt geradezu vermeiden.
Unter Fachleuten wird Schüchternheit als genetisch bedingtes Persönlichkeitsmerkmal angesehen, als angeborenes Temperament, das sich in der Kindheit in zwei Formen manifestiert: erstens beim Säugling in einer Angst vor Fremden, die sich in somatischen Symptomen äuÃert, zweitens bei Kindern ab vier Jahren, die eine mit kognitiven Symptomen verbundene soziale Angst ausbilden. Die angeborene Schüchternheit im Säuglingsalter, das »Fremdeln«, ist eine SchutzmaÃnahme gegenüber Fremden, die bei fast allen Kindern vorhanden ist. In der Kindheit und Jugend macht die groÃe Mehrheit der Bevölkerung Phasen intensiver Schüchternheit durch (nur weniger als fünf Prozent äuÃern die Meinung, niemals schüchtern gewesen zu sein), doch verliert sich die Befangenheit im Erwachsenenalter. Von Schüchternheit als Charakterzug kann man also nur dann sprechen, wenn sie auch im Erwachsenenalter stark präsent ist, sprich: eine Schüchternheit, die sich nicht nur in der Angst vor einem »groÃen Auftritt« manifestiert, sondern selbst dann zu Schamreaktionen führt, wenn es nur darum geht, eigene Positionen und Interessen zu benennen, zu widersprechen oder zu streiten.
Auch Menschen, von denen man es gar nicht erwartet, können im Kern sehr schüchtern sein und zu dem paradoxen Verhalten neigen, ihre Schüchternheit durch lautes und andauerndes Reden, durch exhibitionistische Selbstdarstellung und permanente Kaspereien zu überdecken. Man glaubt es kaum, wenn jemand wie Jessica Alba gesteht: »Mir ist es peinlich, im Mittelpunkt zu stehen!« Oder wenn Lady Gaga verkündet: »Bei neuen Leuten bin ich sehr schüchtern. Deshalb lerne ich auch kaum andere Künstler kennen.« Robbie Williams lieà verlauten: »Ich bin schüchtern und hasse mich dafür!« Zur »Opfergruppe« gehören auch Schauspieler wie Robert DeNiro, der als Jugendlicher heftig unter Schüchternheit litt, oder Tom Hanks, dem in jungen Jahren von Schulpsychologen empfohlen wurde, eine Theatergruppe zu besuchen, um zu lernen, mehr aus sich herauszugehen. Der deutsche Schauspieler Ulrich Matthes ist sogar überzeugt, dass eine tiefsitzende und anhaltende »Schamhaftigkeit« die Grundlage für gute Schauspielkunst sei. Nur wenn man sich über den Akt des Exhibitionismus, der jedem öffentlichen Auftritt zugrunde liege, im Klaren sei, könne man den Mut aufbringen, seine Schüchternheits- und Peinlichkeitsgefühle bei jedem Auftritt, in jeder Rolle aufs Neue zu überwinden und somit eine intensive Bühnenpräsenz gewinnen. 84 Nicht wenige Stars halten sich im innersten Wesen für sehr schüchtern. Julia Roberts behauptete beispielsweise, vor ihrer Karriere »eine unglaubliche Schüchternheit« überwunden zu haben. Die romantischen Vampire Robert Pattinson und Kristen Stewart schlieÃen sich da an. Pattinson sagte über sich: »Ich war wahnsinnig scheu und hatte kaum Selbstbewusstsein«, während Stewart glaubte, in ihrer Zurückhaltung läge auch der Grund, dass viele sie für arrogant hielten. Wenn man sich diese Bekenntnisse durchliest, mag man das kaum glauben â die Behauptung der Stars und Medienlieblinge, unter Schüchternheit zu leiden, erscheint hier wie ein Versuch, auf diese Weise authentisch zu wirken â Teil einer PR -Strategie, um Bodenhaftung, den human touch ,zu inszenieren. Eine Altmeisterin in diesem Fach war Prinzessin Diana. Besonders in der Trennungsphase lieferte sie sich einen regelrechten Bilderkrieg mit Ehemann Prinz Charles. Sie war höchst versiert im Umgang mit Medien, suchte den groÃen Auftritt â und schaffte es dennoch, stets als das
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