Blanks Zufall: Roman
aus mit euch.“ Zuerst sagt es Jenny, dann Frank und ein jedes Mal gibt Marcus dieselbe Antwort: „Es ist auch aus, Mann, aber irgendwie kommen andauernd diese Flashbacks, weißt du? Es ist gar nicht so einfach, die zehn Monate mit der Liebe deines Lebens zu vergessen.“
Als Ausdruck ihrer Skepsis bedienen sich Jenny und Frank verschiedener Gesten. Sie zieht ihre Augenbraue hoch, während Frank zu lachen beginnt. Der Tenor ihres anschließenden Kommentars ist derselbe: „Wenn es die Liebe deines Lebens ist, warum hast du dann Schluss gemacht?“
„Du weißt, warum“, antwortet Marcus, doch Frank weiß nicht alles, die Lügen, ja, von denen weiß er, aber dass sich die beiden gegenseitig schlugen, nicht. Zum Verständnis streichelt Jenny ihm wieder über die Wange, während Frank auf seine Schulter klopft. Beide wollen, dass er das Richtige für sich tut, und beide sind überzeugt, dass Anna die Falsche ist, waren schon vor Monaten davon überzeugt und hielten sich mit Wertungen freundschaftlich zurück.
„Sag' mal, Marcus“, richtet Sebastian später das Wort an ihn, schält sich damit aus einem Gespräch mit seiner Kollegin und erntet die Aufmerksamkeit aller am Tisch, seine Stimme nun laut und bestimmend nach dem vierten Bier, „ich meine, deine Tricks waren ja alle ziemlich verblüffend, aber eines lässt mir einfach keine Ruhe: Wenn du mir auf mein Handy eine SMS geschickt hast, welche Worte sich dieser Typ da ausdenken wird, ne, wie heißt er noch?, egal, dann musst du ja auch schon vorher gewusst haben, dass Jenny sich für mein Handy entscheiden würde, und nicht nur das, auch, dass Michael es dann in seiner Tasche hat. Das gibt mir irgendwie zu denken, Blank, weißt du das eigentlich? Wie konntest du das nur wissen? Das verstehe ich einfach nicht.“
„Das haben wir alle nicht verstanden“, sagt Frank, „aber das soll ja auch ein Geheimnis bleiben.“
„Abgesehen davon, dass ich es unbegreiflich finde, wie Marcus den Zettel und das Handy ausgetauscht haben will, ohne dass wir es mitkriegen“, fügt Jana hinzu, deren Augen so glasig sind wie von den anderen in der Runde, „gibt es eigentlich nur eine logische Erklärung dafür, was du getan hast.“
Marcus lächelt und nimmt einen Schluck Wasser. Eigentlich liegt der Entertainer nun in ihm vergraben, bis er ihn wieder benötigt, aber das entstandene Gespräch löst, ohne dass er es will, seine Fassade aus, seine Maske des Mentalisten, von der er nie wusste, ob sie auch Marcus ist oder nur eine einstudierte Rolle.
„Und welche logische Erklärung hast du dafür?“ fragt er.
Jana hebt ihr Glas an und nimmt eine Schluck. Bevor sie antwortet, schaut sie die anderen an, jeden einzelnen, als wollte sie sich vergewissern, dass sie genauso denken, obwohl sie noch gar nichts gesagt hat.
„Du hast tatsächlich übersinnliche Fähigkeiten.“
„Stimmt“, sagt Karsten und prostet ihr zu.
„Muss so sein“, sagt Maurice und leckt ein Blättchen an, das er gerade um Tabak rollte.
„Ja, so ist es auch“, sagt Marcus.
Das ist der Moment..., der Moment, in dem er weiß, dass er sein Studium abbrechen wird.
Er lehnt sich nach hinten an die Sessellehne, streckt die Beine unter dem Tisch aus. Endlich kann Marcus erahnen, wie es sein muss, frei zu sein. Frei von dem, was man tun muss, weil man tut, was man will. Frei von Zwang. Und es ist ihm gleichgültig, wie steinig der Weg werden kann. Scheiß drauf, Alter, heute hast du Geburtstag!
„Prost“, sagt er und Gläser klacken aneinander. Dann stimmt Karsten 'Happy Birthday' an. Alles Gute, denkt Marcus, was für ein kitschiger Abschluss eines gelungenen Abends, und grinst.
MANCHE MOMENTE VERÄNDERN ein Menschenleben. Und manchmal kann der Empfänger die Momente selbst verursachen, durch Erfahrungen und Einsichten. Ein manches Mal aber, und wahrscheinlich viel häufiger, werden ihm die Momente aus dem Umfeld aufgedrängt. In einem immer währenden Kreislauf, zeitlos, werden sie generiert. Wo der Kosmos noch seine Ordnung hat, bleibt dem Menschen nichts anderes, als die Momente hinzunehmen, und in dem Chaos, das sie anrichten, einen Sinn zu finden.
Alles beginnt mit einem Schrei, wie bei einer Geburt, wenn der Säugling zum ersten Mal Luft in seine Lungen atmen muss, kürzlich heraus gepresst aus dem sicheren Mutterleib. Der Schrei, den Marcus und die anderen am Tisch (und auch die anderen, die um sie stehen und sitzen) hören, ist tiefer als der eines Säuglings, und unverkennbar
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