Blanks Zufall: Roman
von diesem Ort zu verschwinden. Vor allem erwischt jeden diese Kraft, die sie nach hinten schubst, zur Seite oder einfach zu Boden.
Marcus springt von seinem Platz auf, um zu sehen, was da kommt und sich seinen Weg bahnt, aber er sieht nur Menschen, die sich anrempeln und bei ihrer Flucht über andere Menschen steigen, die durch das Rempeln fallen. Er sieht Hugo, der Marcus Zettel in der Tasche hatte (ein Leichtes war es, das Handy dagegen auszutauschen). Hugo, der sich nur von dieser Masse abhebt, weil Marcus ihn zuvor schon sah, sonst fiele er nicht auf, genauso ein verzweifeltes Gesicht wie all die anderen. Hugo prescht mit seinen Armen voran, versucht die Menge zu teilen. Aprupt bleibt er stehen, nein, er wird aufgehalten, das Etwas zerrt an ihm, Hugo fällt zurück und schreit, und schreit. Einige aus der Masse nehmen kurz Notiz, nur um dann noch vehementer zum Eingang zu drängen.
Am Dj-Pult dreht sich die Welt weiter um Musik. Der DJ, Lars ist sein Name, glaubt Marcus, dieser hagere Typ mit der umgedrehten Baseball-Mütze auf dem Kopf, hängt mit einem Ohr in seinem Kopfhörer und sucht nach dem nächsten Lied. Gerade spielt ein dröhnender Rock-Song, der das Chaos im 'Raschinskis' merkwürdig ergänzt, ihm die fehlende Vollkommenheit bietet.
Das Licht in der Bar ist zu schummrig (alle Bars sind so schlecht beleuchtet), und Marcus sieht nur diesen Schatten als Manifestation des Chaos. Ein Schatten, der sich, größer als alle Anwesenden, seinen Weg durch die Menge bahnt, mit langen Armen ausholend und zu schlagend, zerrend und stoßend. Dort, wo er ist, weichen die Menschen zurück, nein, sie werden zurück gedrängt, von jener Gewalt, stärker als sie, stärker als jeder. Auf ihrer Flucht nach draußen stürzen viele auf ihre Knie und rappeln sich orientierungslos wieder auf, bis sie wieder angerempelt werden, aber die meisten schaffen es. Marcus schaut wieder zum Fenster hinaus, ein Pulk von Menschen nun, die über den Hamburger Berg fliehen, rennen wie die anderen, die Marcus vorhin sah. Er blickt wieder ins Innere.
Eine blonde Frau fällt bäuchlings zu Boden, Daniela, die ihn mit ihren Blicken strafte, und eine Gruppe von vier Männern trampelt über sie hinweg, bemerken gar nicht, dass ihr Boden nun aus Fleisch und Knochen ist. Danielas Schrei übertönt die anderen, wieder dieses Kreischen, übertönt die Musik, als ihre Knochen brechen. Der letzte Mann tritt ihr bei der Flucht gegen den Kopf und sie bleibt regungslos liegen.
Der Schatten nun gelangt weiter in das Innere der Bar, arbeitet sich mühelos durch Menschen bis zum Tresen. Aus seiner Richtung hebt sich etwas Bleiches aus der Dunkelheit, fliegt auf Marcus zu und ehe er ausweichen kann, klatscht es in sein Gesicht, auf seine linke Wange und fällt dann plump zu Boden. Als er nach unten schaut, kann er nichts sehen, alles verschwimmt in der Schummrigkeit. Er tastet mit dem Zeigefinger über die Stelle des Aufpralls. Feuchtigkeit, dunkle, rote Feuchtigkeit. Marcus wischt es sich mit seinem Ärmel weg.
Jetzt hat auch Lars das Chaos bemerkt und reißt die Platte von dem Spieler herunter. Ein lautes Kratzen, dann singen die Schreie der Anwesenden ihr Qualenlied in die frei gewordene, akustische Leere.
Marcus löst sich endlich aus seiner Starre und blickt zu seinen Kollegen. Jana und Sebastian stehen unter Schock, ihre Augen glasig, die Mienen versteinert. Auch ich sehe jetzt so aus, denkt Marcus, kreidebleich und mit der Frage gezeichnet, was passiert hier bloß. Es rumpelt in der Bar, Tische stürzen, Flaschen zerbrechen. Marcus blickt zum Schatten, von ihm hebt sich ein menschlicher Körper ab, der an die Decke prallt und zu Boden stürzt, auf einen anderen gefallenen Körper. Der Schatten senkt seinen Arm, ja, es ist ganz eindeutig ein langer, dicker, dunkler Arm, dass es aussieht, als hätte er den Körper nach oben geworfen.
„Ich muss hier raus!“, schreit Jana plötzlich, packt Sebastian am Arm und zieht ihn mit sich zur flüchtenden Menge, die sich mittlerweile lichtet, weil die meisten schon draußen sind.
Das 'Raschinskis' wurde von Menschen geleert und mit Chaos gefüllt, einem hechelndem, wütendem Chaos, das nun am Tresen ist. Seinem Ziel. Marcus kann Jenny nicht sehen. Und Frank ist auch verschwunden. Vielleicht haben sie es geschafft, ins sichere Draußen. Und Marcus versteht nicht, versteht diesen Moment so gar nicht, der seinen Abend zerstörte. Den Abend aller. Er lässt seine Arme hängen (bemerkte gar nicht, dass er
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