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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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Taufonkel vom Nachbarn links und fühlte sich im Gegensatz zu seinem Neffen, der der eigentliche Urheber des Schlamassels war, immerhin ein bisschen verantwortlich. Der Nachbar Karl Ötsch hatte nie ein Wort zu alldem verloren. Er tat so, als hätte es Johannes Gerlitzen nie gegeben, und manche der Wirtshausbrüder bedauerten, nie wieder Schimpftiraden von Karl Ötsch gegen Johannes Gerlitzen oder von Johannes gegen Karl zu hören. Gerhard Rossbrand, der als Briefträger die meiste Zeit für dumme Scherze hatte, versuchte oft, Karl Ötsch aus der Reserve zu locken:
    »Glaubst, dass da Gerlitzen wirkli a Doktor wird? So a hochg’schissener?« Oder: »Na Karl, wenn da Gerlitzen Doktor wird, hast endli wen, der wos da deine schiachen Zähnd reißt!«
    Aber Karl reagierte nicht. Höchstens ein Schulterzucken brachte er zustande, doch ansonsten war er verstummt, hielt sich bei den Dorfversammlungen zurück, sagte Ja und Amen zu allem und ward nie wieder am Gartenzaun der Gerlitzens gesehen. Elisabeth und Ilse mied er. Er hatte schon fünf Kinder, und Irmgard Ötsch, seine Ehefrau, war die erste und einzige militante Feministin von St.   Peter – lange bevor der Begriff Feminismus im Dorf bekannt wurde. Ihr Anspruch auf Gleichberechtigung ging so weit, dass sie nach Ilses Geburt ihren Nudelwalker nie mehr aus der Hand legte. Sogar ins Bett nahm sie ihn mit, und der Schlüsselbeinbruch sowie das taubeneigroße Hämatom im Gesicht von Karl Ötsch machten allen im Dorf klar, dass man ihn bei seiner nächsten Verfehlung aus dem Dorfbrunnen würde fischen müssen – mit dem Gesicht nach unten.
    Bereits einige Wochen, nachdem Johannes Gerlitzen das Dorf verlassen hatte, sprach so gut wie niemand mehr über die Sache. St.   Peter am Anger war zu klein, um sich Gedanken darüber zu machen, wer nun tatsächlich der Vater von welchem Kind war. Irgendwie waren ohnehin alle miteinander verwandt, und so gaben die St.   Petrianer Johannes die Schuld an Elisabeths Unglück und machten ihm viele Vorwürfe, seine Frau und seine Tochter wegen einer hirnrissigen Spinnerei mit Würmern verlassen zu haben. Das gesamte Dorf fühlte sich nun verantwortlich für Ilse, die älteren Frauen nähten ihr Kleider, Elisabeths Freundinnen holten sie zu sich, wenn die Mutter arbeiten musste oder etwas Ruhe brauchte.
    Karl Ötschs einziges Angebot an Elisabeth war, ihr das Haus abzukaufen. Es sei viel zu groß für die beiden Frauen, meinte er, zwei seiner Kinder könnten später darin wohnen, wenn diese Familien gegründet hätten. Elisabeth dachte über das Angebot keine fünf Minuten nach, sondern schlug es aus, wann immer der Nachbar es unterbreitete. Johannes und sie hatten das Haus mit ihren eigenen Händen erbaut: viel Holz und vier Schlafzimmer für ihre drei gewünschten Kinder. Außerdem hatte Johannes nach der Schneeschmelze geschrieben, er wolle wissen, wo sie zu finden sei, und Elisabeth glaubte im Gegensatz zum Rest des Dorfes fest daran, dass er zurückkommen würde. Es war ihr egal, wenn ihr die alten Frauen auf der Kirchenstiege die Schulter tätschelten und meinten, Johannes sei in dieser gefährlichen Welt da draußen sicherlich schon gestorben. Sie ignorierte ihre Freundinnen, die ihr zuflüsterten, dass er wahrscheinlich eine neue Frau habe, sie wisse doch, wie schamlos die Frauen im Rest der Welt seien.
    Der junge Gemeinderat Arber forderte sie, obwohl sie ihn um einen Kopf überragte, bei jedem Fest zum Tanz auf, wollte sie ständig auf ein Krügerl einladen, bot ihr auf dem Nachhauseweg einige Mal an, sie zu heiraten, ein Vater für die kleine Ilse zu sein. Elisabeth wies ihn ab, genauso wie den Bürgermeistersohn Friedrich Ebersberger, der sie zwar nicht heiraten wollte, aber der festen Überzeugung war, sie bräuchte mal wieder einen Mann in ihrem Bett – bis sie ihm nach dem Sonnwendfeuer 1964 einen so heftigen linken Haken verpasste, dass er einen Eckzahn verlor.
    Elisabeth betete jeden Abend, dass Johannes zurückkäme. Seit er weggegangen war, schlief sie in seiner Betthälfte, während dort, wo sie selbst früher gelegen hatte, nun Ilse schlief. Sie hatte ihrer Tochter nie angewöhnt, in ihrem eigenen Zimmer zu schlafen, ihr nur gesagt, wenn der Vater wiederkäme, müsse sie ins Kinderzimmer, aber Ilse glaubte genauso wenig daran wie der Rest des Dorfes. Sie wusste schließlich, was die anderen Kinder in der Volksschule erzählten. Das Leben in St.   Peter am Anger ging weiter, als hätte es Johannes Gerlitzen nie

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