Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
damit bedeutete, dass es wohl sinnlos sei, die wertvolle Zeit des Ältestenrates an Johannes Gerlitzen zu verschwenden. Daraufhin stampfte der Bürgermeister auf den Fußboden und schrie:
»Jessasmariaundjosefna, du bist owa a a sturer Hund, du depperter!«, bevor sie geschlossen hinauspolterten und die Tür hinter sich ins Schloss knallten.
Während sich Elisabeth von der Geburt erholte, erwartete sie jedes Mal, wenn sich die Tür öffnete, Johannes würde zurückkommen – aber es waren stets nur ihre Freundinnen oder ältere Frauen aus dem Dorf, die ihr Essen und Hausmittel brachten. Alle standen ihr bei, doch auf Johannes wartete sie vergeblich. Nach einigen Wochen bat Elisabeth schließlich die Hebamme Trogkofel, ein paar Stunden auf ihr kleines Mädchen zu schauen. Sie zog sich ihr Sonntagskleid an, holte das Amulett ihrer Großmutter aus der Kommode, kämmte ihr langes Haar mit etwas Wachs, bis es glänzte, und ging bei Einbruch der Dämmerung Richtung Dorfplatz. Vor dem Gemeindeamt blieb sie stehen und blickte durch das Fenster in die erleuchtete Bibliothek. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es ihr solch einen Stich versetzen würde, Johannes zu sehen. Kurz blieb ihr die Luft weg, und sie musste sich abstützen. Elisabeth schaute zu Boden, schloss die Augen, dachte daran, wie sehr sie Johannes liebte, und richtete ihren Blick schließlich wieder auf den Mann, der hinter dem Fenster im Licht einer Schreibtischlampe saß und las. In St. Peter am Anger gab es zur damaligen Zeit vier Straßenlaternen, und unter einer stand Elisabeth. Sie wartete, dass Johannes seinen Kopf hob und sie vor dem Fenster stehen sah. Doch wie lange sie auch wartete, ihr Mann schaute nicht aus seinem Buch auf. Schließlich war Elisabeth so durchgefroren, dass sie es nicht mehr aushielt und nach Hause ging. Auf dem Weg weinte sie, bis die Hunde in den Höfen entlang der Straße zu jaulen begannen.
Die kleine Ilse schlummerte fest, als die Hebamme sie in die Arme ihrer Mutter legte, um sich den Mantel anzuziehen. Bevor die Hebamme das Haus verließ, sagte sie zu Elisabeth:
»I find, de Klane hat de hochn Wangenknochn vom Johannes.«
Daraufhin sah Elisabeth ihrer Tochter ins Gesicht und nickte eifrig.
Der Tag, an dem der Doktor die lang erwarteten Medikamente brachte, begann damit, dass Johannes auf seinem Morgenspaziergang ein Schneehuhn entdeckte, dessen weißes Kleid mit braunen Federn durchsetzt war. Am Kopf hatte die Verfärbung begonnen, und zum ersten Mal seit Langem lächelte Johannes: Der Frühling stand bevor. Wenn Johannes früher Schneehühner entdeckt hatte, hatte er versucht, sie zu fangen, denn Schneehuhnfleisch galt in St. Peter am Anger als besondere Delikatesse. Doch in diesem Moment war Johannes nicht nach Jagen zumute, obwohl das Schneehuhn nur einen halben Meter vor ihm stand und durch die Futtersuche abgelenkt war. Und plötzlich wurde Johannes klar, dass ihm nicht nur die Schneehuhnjagd egal war, sondern sein ganzes bisheriges Leben. Er wollte nicht länger in St. Peter bleiben, Bäume fällen, Statuen schnitzen, im Wirtshaus sitzen oder Schneehühner braten, er wollte erforschen, ob Schneehühner Würmer hatten.
Kurz vor Einsetzen der Schneeschmelze kamen die Krämpfe. Sechzehn Stunden lang wand sich sein Darm, zwei Stunden länger als Elisabeth in den Wehen gelegen hat, dachte Johannes und schämte sich noch im selben Moment für diesen Gedanken. Als tags darauf der gewaschene Bandwurm vor ihm lag, ganze 14,8 Meter lang und in etwa so breit wie Elisabeths Ringfinger, glühte Johannes vor Stolz, als hätte er die Erstbesteigung des Großen Sporzer vollbracht.
Mit weit offenen Mündern beobachtete die Stammtischrunde – Anton Rettenstein verkutzte sich an seinem Bier –, als Johannes Gerlitzen im Wirtshaus erschien, um den Wirt um ein leeres Marmeladenglas und etwas Spiritus zu bitten. Sobald die Schneeschmelze die Wege ins Tal befreit hatte, suchte Johannes drei Paar frische Unterwäsche zusammen und schlug Schreibers Berichte sowie den präparierten Bandwurm in jeweils eines seiner Hemden ein.
An einem Dienstagmorgen bog Johannes Gerlitzen auf die Angertalstraße und machte sich auf den vierstündigen Fußweg hinaus in die Welt. Als Erster kam ihm der Briefträger Gerhard Rossbrand entgegen, danach die Volksschullehrerin, schließlich einige Bauern, und alle fragten sie ihn, wohin er so zielstrebig ginge. Ohne stehenzubleiben, antwortete er jedes Mal:
»I geh in d’ Hauptstadt und werd
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