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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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Wunsch äußern konnte, bei seiner Frau zu bleiben. Vierzehn Stunden lang saß er auf der Holzbank vor dem Haus und spülte sich mit einer Dopplerflasche Adlitzbeerenschnaps die Schreie seiner Frau aus den Ohren. Als seine Haare gefroren waren und seine Haut so von der Kälte ausgetrocknet, dass sie wie von einem weißen Netz überzogen schien, tat das Kind seinen ersten Schrei. Johannes stürzte ins Haus, rannte die Holztreppen empor, klopfte nicht, wartete nicht und hebelte beim stürmischen Öffnen der Tür selbige beinahe aus. Im Türrahmen jedoch erstarrte er. Das kleine Mädchen lag nackt in den Armen der Hebamme, war noch über und über von den Spuren der Geburt bedeckt und hatte dennoch einen unübersehbar schwarzen fülligen Lockenkopf, wie er weder in der Familie der rotblonden Elisabeth noch bei den weißblonden Gerlitzens jemals vorgekommen war. Solch schwarzes wuscheliges Haar hatte nur der Nachbar Ötsch von links.
    Johannes Gerlitzen gewöhnte sich schnell daran, in der Bibliothek zu schlafen. Mit einer Matratze im Südeck, wo es am wenigsten feucht wurde, war es sogar einigermaßen gemütlich. Seit ihm die Gemeindesekretärin eine Schreibtischlampe dazugestellt hatte, konnte er bis tief in die Nacht lesen. Das Lesen war hilfreich, um jene Gedanken zu vertreiben, die ihn nachts derart belasteten, als säße ein gewichtiger Alb auf seiner Brust, der ihn zu erdrücken versuchte.
    Kaum hatte das Gerücht von der Geburt die Kirchenstiege erreicht, empfanden die Dorfbewohner Mitleid, meinten, man müsse ihm seine Ruh’ lassen, doch als Johannes Gerlitzen der Sonntagsmesse zweimal hintereinander ferngeblieben war, wurden die St.   Petrianer unruhig. All jene, die von ihren Häusern Ausblick auf das Gemeindeamt hatten, beobachteten den Bibliotheksraum, um den Nachbarn in den Hangsiedlungen am nächsten Tag zu erzählen, wann Johannes das Licht ausgemacht hatte und zu welchen unchristlichen Zeiten es wieder angegangen war.
    »Hiazn is a verruckt wordn«, murmelte die Stammtischrunde, wenn sie zur Sperrstunde vom Wirt nach Hause geschickt wurde und nebenan im Gemeindeamt der Gerlitzen unverändert seine Nase in ein Buch steckte, aber keiner von ihnen ging hinein, um mit Johannes zu sprechen. Anton, Friedrich, Wilhelm, Gerhard, Johannes und Karl waren seit der Volksschule eine Burschengruppe gewesen und hatten viele Abende zusammen im Wirtshaus verbracht, seit sie alt genug dafür waren – auch wenn Johannes Gerlitzen und Karl Ötsch meist prügelnd unter dem Tisch geendet waren. Nun durfte Karl das Haus nur noch unter Aufsicht seiner Frau verlassen, und Johannes verließ das Gemeindeamt überhaupt nicht mehr. In St.   Peter am Anger sprachen Männer nicht über Gefühle, Enttäuschung ertrug man stoisch, also ließen sie Johannes, wo er war, und tranken abends zu viert.
    Als sich Johannes Gerlitzen jedoch am Aschermittwoch nicht einmal das Aschenkreuz abholte, redeten die Dorfbewohner so lange auf den Altbürgermeister ein, bis dieser seine Hosenträger stramm zog, den Ältestenrat zusammentrommelte und ins Gemeindeamt marschierte. In St.   Peter am Anger gab es kein gewichtigeres Wort als das der Versammlung der vier bis sechs mächtigsten Pensionisten. Wenn diese etwas befahlen, gehorchte man – nur Johannes Gerlitzen ignorierte ihre Autorität. Die fünf Ältesten fanden ihn in der Teeküche des Gemeindeamts, wo sich Johannes Butter auf ein halbes Weckerl schmierte, der Käse war bereits aufgeschnitten.
    »Geh Hannes, woaßt eh, wia des so is«, sagte der Altbürgermeister, der als guter Freund von Johannes’ verstorbenem Vater die Rede führte. Er rieb sich währenddessen die Hände gegen den Innenstoff seines Festtagsjankers, als müsste er sie säubern.
    »De anen ham s’Glück im Leben, de andern ziehn d’Oarschkartn. Owa da herin wirst jo nu deppert.«
    Der Bürgermeister ging im schmalen Raum auf und ab, war sich mit seinem Wanst selbst im Weg, seine vier Begleiter blieben im Halbkreis vor dem Eingang stehen und warfen dem Schnitzer zornige Blicke zu. Johannes beachtete sie nicht. Er belegte sein Brot und schnitt einen Paradeiser auf.
    »Jessasmaria, Hannes, i versteh scho, dass’d grad g’nug hast vo da Wölt, owa woaßt eh, an Guckguck gibt’s in de bestn Gärtn. Denk do a bisserl anan Friedn im Dorf! Du lebst jo net allanig da!«
    Johannes zeigte keine Reaktion und salzte seine Jause. Die fünf Alten sahen einander ratlos an, bis der Altbauer Rettenstein seinen Kopf schüttelte und

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