Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
Vom Netzwerk:
dreiundzwanzigjährige aufstrebende Assistentin, die auf meine Stelle lauerte, mochte mich nicht, aber das war nichts Persönliches, ich nahm es ihr nicht übel. »Warum ist es wichtig, dass Sie mich mögen? Ich bin Ihre Klientin. Ich will nicht Ihre beste Freundin werden.«
    »Heiliger Strohsack!«, schimpfte Emmaline. »Hören Sie, wie ich über den Akten weine? Ins Taschentuch schnäuze? Himmel nochmal, ich brauche keine Freundin. Ich hab schon eine, und zwar seit der fünften Klasse. Sie heißt Sheri, hat ein Riesengebiss und lacht ständig. Nein. Ich muss wissen, ob ich Sie gern genug mag, um Ihnen bei Ihren Problemen zu helfen.«
    »Na, so was. Mal sehen«, sagte ich. »Ich habe Probleme noch und nöcher. Ich habe keine Arbeit. Ich bin so dünn, dass meine Knochen klappern. Ich bin wegen Körperverletzung angeklagt. Der Schlappschwanz hat noch eine Zivilklage gegen mich erhoben, dabei geht es um eine horrende Geldsumme. Wahrscheinlich gewinnt er, dann bin ich pleite. Ich habe momentan einen Nervenzusammenbruch, auch jetzt, in dieser Minute. Wegen meiner Vorstrafe werde ich Schwierigkeiten haben, eine neue Stelle zu finden. Soll ich noch mal wiederholen, was ich unlängst bei einem Meeting vor achthundertvierunddreißig Zuhörern über Vaginalcreme und zuckerhaltige Cornflakes sagte? Das wird ein großes Problem werden, wenn ich noch mal in der Werbebranche angestellt werden will. Und ich will nicht vergessen zu erwähnen, dass meine Mutter vor kurzem gestorben ist. Sie fehlt mir mehr als mein eigenes Herz. Habe ich erwähnt, dass der Schlappschwanz mein Mountainbike mitgenommen hat? Wenn Sie auch nur eines meiner Probleme lösen könnten, wäre das super. Ich hatte keine Ahnung, dass Psychologen heutzutage so viel tun können. Echt nicht.«
    Schweigen. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen sich nicht selbst bemitleiden«, sagte Emmaline.
    »Tue ich ja gar nicht.« Aber sie hatte recht, gestand ich mir ein. Ich bemitleidete mich selbst.
    »Doch. Das tun Sie. Kommen Sie Freitag um zwölf. Dann prüfe ich Ihren Sympathiefaktor.«
    Sie legte auf, ohne sich zu verabschieden. Eine Weile starrte ich auf das Telefon in meiner Hand, dann sagte ich ihr, sie sei eine hochmütige, überhebliche Zicke, die bestimmt superdick sei, so fett wie ein mit Drillingen trächtiges Nilpferd. Dann legte ich ebenfalls auf.

4 . KAPITEL
    Einige Tage später beschloss ich auf meinem täglichen Trink- und Heulspaziergang, mir einmal anzusehen, was Rosvita bei unseren Strickstunden immer die »Bakterienhölle« nannte. In anderen Worten: das Migrantenlager. Ich ging quer durch die Stadt und bog dann in einen Kiesweg ein, der in einen Feldweg überging.
    Zu beiden Seiten erstreckten sich weite Felder.
    Mein Blick blieb an mehreren Schuppen hängen, die gut dreißig Meter abseits des Weges standen. Sie sahen aus, als würden sie die Schultern hängen lassen. Zusammengesunken, als könnten sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Die Dächer waren aus Metall. Jeder Schuppen hatte vorne zwei schiefe Fenster, ein oder zwei waren zerbrochen. Die Türen hingen mehr schlecht als recht in den Angeln.
    Als ich näher kam, legte sich ein Kloakengestank über mich, als wäre die Gegend eine gewaltige Toilette. Ich zog mir mein T-Shirt über Mund und Nase. Igitt. Ich vermutete, der Bauer hätte extrastarken Dünger eingesetzt.
    Da entdeckte ich den bunten Fleck.
    Einen winzig kleinen hüpfenden Fleck. In Rot.
    Als ich näher heranging, kam ein blauer Fleck mit schwarzem Haar hinzu. Die Farbkleckse zogen Kreise, spielten Fangen.
    Kinder.
    Vor diesen heruntergekommenen Schuppen mit den Blechdächern, kaputten Fensterscheiben und in den Angeln schlagenden Türen spielten Kinder.
    Ich ging auf sie zu, wollte ihnen sagen, sie sollten nicht in die Schuppen gehen, die machten einen baufälligen Eindruck. Außerdem wollte ich fragen, wo ihre Eltern seien. Das Feld war riesengroß; es erschien mir falsch, dass so kleine Kinder allein hier draußen herumliefen.
    Als ich noch zwanzig Meter entfernt war, erschien eine Frau in der Tür einer Hütte. Sie trug ein blaues Hemd und Jeans. Ich blinzelte. Sie sprach die Kinder an, die daraufhin zu ihr gelaufen kamen und ihr etwas aus der Hand nahmen.
    Sie sah mich und erstarrte. Ich ebenfalls.
    Mich traf die hässliche Wahrheit:
    In diesen Schuppen wohnten Leute.
    Darüber regte sich Rosvita so auf.
    In diesen Schuppen wohnten Leute.
    Der einzige Mensch, der hier wohnen sollte, war der Schlappschwanz. Eine Welle der

Weitere Kostenlose Bücher