Blaulicht
Guantánamo verwechseln. Was er sonst noch gesagt hat, erspare ich Ihnen. Kalz, was ist denn in letzter Zeit mit Ihnen los? Ich kann Sie nirgendwo mehr hinschicken, ohne dass es hinterher Beschwerden hagelt. Fehlt Ihnen womöglich ein Erfolgserlebnis, was den tschechischen Drogenschieberring betrifft?«
Kalz’ Ehrgeiz verbietet ihm, unumwunden einzugestehen, dass er in den letzten Tagen einen Stolpersteinparcours zurückgelegt hat, denn so, wie der Chef gelaunt ist, wäre er nur allzu geneigt, ihm auch daran noch die Schuld zuzuschieben. Als könnte er etwas dafür, dass er plötzlich nur noch mit Leuten zu tun hat, die sich allesamt hinter die verschiedensten Schutzschilde zurückziehen – »völligen Blackout gehabt«, »betrunken gewesen«, »es war zu dunkel« et cetera. Und ausgerechnet aus der Kovács, die Treffpunkte nennen, Gesichter identifizieren könnte, ist nichts, aber auch gar nichts herauszukriegen. Während er Zoes Bemühungen verfolgt hatte, war ihm die Vision von einem Mittel gekommen, das einer mal erfinden müsste. So eine Art Psycho-Abflussfrei, das verstopfte Gehirnwindungen durchspült.
»Da ist gerade eine schwierige Phase eingetreten.« Kalz streicht sich die kurzen aschblonden Haare zurück.
»Schwierige Phase? Mehr fällt Ihnen dazu nicht ein? Schwierige Phasen haben wir hier jeden Tag. Nein, Kalz, wissen Sie, was ich glaube? Sie haben sich da plötzlich auf die Kovács eingeschossen und bilden sich ein, ohne ihre Aussage nicht weiterzukommen. Warum eigentlich? Was wissen denn Sie, ob der Kleindealer, von dem sie ihren Stoff bekommen hat, irgendwas Brauchbares aussagt – falls Sie ihn überhaupt kriegen?«
»Das ist es nicht, Chef. Aber wir wissen doch seit gestern, dass sich die Kovács in Pilsen aufgehalten hat. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass sie eine andere Variante von dem PepZero im Blut hatte. Die war da drüben ganz nah dran an der Szene, da bin ich sicher.« Und er fügt hinzu: »Ich halte es für nötig, selbst nach Pilsen rüberzufahren. Und zwar am besten heute noch.«
Mattusch stellt den Ventilator eine Stufe höher, als habe er das Bedürfnis, seine schweißtreibenden Gedanken an Autobahnen in der Mittagshitze wegzupusten. Einem anderen Kollegen gegenüber läge ihm jetzt die Frage auf den Lippen, ob ihn denn die Sehnsucht nach dem Urquell des Bieres nach Tschechien treibe, oder gar, ob er den bisher ausschließlich telefonischen Kontakt mit der blonden Stimme des Pilsener Drogendezernats, Ivana Simaková, ein wenig – Augenzwinkern – pflegen möchte. Aber soweit man weiß, lebt der Ironman nicht nur alkohol-, sondern auch humorfrei, weshalb Mattusch sich auch die Frage ›wollen Sie die Strecke nach Pilsen gleich als Training für Ihren nächsten Marathonlauf nutzen oder doch lieber den Dienstwagen nehmen?‹ verkneift.
Kalz hakt sich in die vermeintliche Unschlüssigkeit seines Vorgesetzten.
»Die tschechischen Kollegen hatten ja erst diese Woche einen Fahndungserfolg. Ich halte es für ganz wichtig, aktuelle Informationen vor Ort auszutauschen. Und Sie wissen doch, wie das läuft. Wenn wir denen einfach nur ein Bild von der Kovács rüberschicken, landet das doch zuerst mal in der Ablage.«
Der Kalz ist diese Woche zweifellos einige Male entgleist, denkt Mattusch. Andererseits – einen gewissen sechsten Sinn hat er schon des Öfteren bewiesen. Aber letztendlich veranlasst ihn noch ein ganz anderer Aspekt zu seiner Entscheidung, dem Wunsch von Kalz stattzugeben.
»Danken Sie dem Herrgott, dass mein Gespräch mit Dr. Weller auch eine konstruktive Seite hatte. Wir sind nämlich auf die Halbritter gekommen. Erinnern Sie sich an die? Wir hatten sie zuletzt vor … zwei Jahren muss das gewesen sein dabei. Bei dem Banküberfall mit Geiselnahme.«
»Ja, ich weiß schon«, sagt Kalz knapp.
»Und die soll versuchen, an unsere Kovács ranzukommen. Das bedeutet: Sie sind für heute und morgen von dem Fall freigestellt, und Frau Kandeloros«, Mattusch spricht den Namen langsam und deutlich aus, als würde er mit einem Lernbehinderten reden, »Zoe Kandeloros wird sich um die Ermittlungen im Umfeld der Kovács kümmern. Fahren Sie also nach Pilsen. Aber noch so ein Anruf wie vorhin« – Mattusch reckt sein Kinn in Richtung Telefon –, »und Sie werden mich von einer ganz anderen Seite kennenlernen, das garantiere ich Ihnen.«
*
Milane gehören zu den Greifvögeln und sind irgendwie mit Habichten, Bussarden und wahrscheinlich auch entfernt
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