Blaulicht
mit Adlern verwandt. Als Helmut Mattusch noch nicht Chef des Morddezernats war, sondern ein kleiner Junge mit dunklen Haaren und Sommersprossen, war er oft auf dem Rücken im Gras gelegen und hatte den über ihm kreisenden Vögeln zugeschaut. Er hatte sich vorgestellt, wie es sein könnte, dort oben zu kreisen, knapp unter den Wolken mit Augen so scharf, dass ihnen nicht einmal das Wackeln eines Mäuseschwanzes entgeht. Er hatte sich ausgemalt, wie es ist, auf einem Eulenbaum zu sitzen und mit diesen schönen Augen über einem majestätisch geschwungenen Schnabel auf die Welt unter sich zu blicken, die Federn erst zu plustern und dann zu ordnen. Gemeinsam mit seinen Eltern war er zum ersten Mal in einer Greifvogelshow – war das in Schillingsfürst, oder kam das erst später? – und hatte sie ganz aus der Nähe gesehen. Er hatte mit großem Interesse die gefährlichen Krallen registriert, die feine Musterung des Gefieders untersucht, vor allem aber in die Gesichter dieser großartigen Tiere geschaut.
Genau an diesen Eindruck muss Helmut Mattusch jetzt denken, als er auf Milan wartet – ist schon komisch, wie die Aufeinanderfolge einiger Buchstaben, wie ein Name die Dominosteine der Erinnerung zum Klickern bringt. Ist noch komischer, wenn das, was sie zum Umkippen bringt, so etwas ist wie Milan Zahorka.
»Und – alles klar an der Mord- und Totschlagsfront?«
Der Mann, der gerade angekommen ist und Mattusch nun auf einem wackeligen Kunststoffstuhl gegenübersitzt, sieht ganz und gar nicht wie ein Raubvogel aus. Eher wie eine Kreuzung aus Ziege, afghanischem Ziegenhirten und Angorameerschweinchen – wieso eigentlich afghanischer Ziegenhirte? Ach ja, da gibt es doch diese Hunde mit dem betroffenen Gesichtsausdruck und Mittelscheitel.
Mattusch ist es viel zu heiß, und hätte Zahorka nicht darauf bestanden, würde er jetzt nicht hier auf dem Bauernplatz sitzen und ein salziges Joghurtgetränk durch einen Strohhalm schlürfen.
»Mögen Sie die arabische Küche nicht?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Sie haben die Speisekarte noch nicht einmal aufgeschlagen. Ich würde Ihnen die Nummer fünf empfehlen, falls Sie unsicher sind. Kommt richtig gut, das Zeug!«
»Herr Zahorka –«
»Ist schon gut, ganz locker, okay? Milan, sag einfach Milan zu mir!«
»Also gut, Milan«, Mattusch glättet die nicht vorhandene Tischdecke vor sich und versucht, locker zu sein. »Wie weit seid ihr Jungs von der Kifferfraktion denn mit der Tschechengeschichte?«
Milan zieht ein Päckchen Tabak aus der zerschlissenen Jeansweste und dreht sich eine Zigarette.
»Weißt du, wir müssen davon ausgehen, dass im Prinzip jeder tschechische Staatsangehörige per se verdächtig ist. Denn wer auf der Welt spricht tschechisch, außer den Tschechen selber und einigen Dolmetschern? Insofern muss jeder Tscheche in dem Bewusstsein, einer Geheimsprache mächtig zu sein, kriminelle Energien entwickeln.«
»Ich dachte, Sie – äh, du – sprichst tschechisch?«
»Du meinst wegen dem Namen? Nee, ich bin im Ruhrpott geboren, genau wie meine Eltern – mein Vater war Bergmann, weißt du?« Dann singt er: »Hack, hack, den ganzen Tag; hack, hack, die große Plag’! Der Plan , Mann, Der Plan – geile Mucke, geiler Film: Die letzte Rache , kennste den?«
Selbstverständlich kennt Mattusch weder die Band noch den Film und fragt sich gerade, ob die verdeckten Ermittler beim Drogendezernat ihren Job vielleicht eine Spur zu ernst nehmen und sich regelmäßig in der Asservatenkammer bedienen. Irgendwann muss das ja aufs Hirn schlagen.
»Die tschechische Polizei«, nimmt Milan unterdessen seinen kurzfristig fallengelassenen Faden wieder auf, »steckt natürlich auch im kriminellen Sumpf.« Vor zwei Wochen erst seien einer Freundin auf einem Parkplatz in Budweis tausend Kronen für Falschparken abgeknöpft worden. »Der war nämlich nur mit einem klein beschrifteten Zusatzschild als Parkplatz für Ortsansässige ausgewiesen. Auf Tschechisch natürlich, damit es keiner versteht. Und als sie nach einer Stunde vom Einkaufen zurückkehrte, hatte sie eine Kralle am Vorderrad und einen Zettel mit Telefonnummer an der Windschutzscheibe. Die tschechischen Polizisten, die nach dem Anruf kamen, sprachen vorgeblich nur zwei deutsche Sätze: ›Tausend Kronen!‹ und ›Da ist Geldautomat!‹. Und der günstige Wein, den sie in Budweis gekauft hatte, war natürlich auch gepanscht.«
Ein Kellner mit dunklen Haaren, dunklem Schnurrbart und einer roten Weste
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