Blaulicht
und braucht sich hier auch nicht mehr blicken zu lassen , war die barsche Antwort auf Zoes Frage. Ein Anruf bei Heike Harms hatte sie hier auch nicht weitergebracht, immerhin hatte Heike versprochen, sich zu erkundigen, wo Fabi zurzeit wohnt, und ihr Bescheid zu geben. Bleiben die Großeltern von Rizzo.
Zoe schlägt das Telefonbuch auf, notiert eine Nummer und tippt die Zahlenfolge in die Telefontastatur. Es tutet einmal, zweimal, dreimal, dann wird am anderen Ende abgehoben:
»Rißmann«, meldet sich eine ältere Frauenstimme.
»Kandeloros«, sagt Zoe, »Zoe Kandeloros, Kripo Nürnberg. Schön, dass ich Sie gleich erreicht habe.«
*
Die Polizeiinspektorin Ivana Simaková vom Pilsener Inspektorat für Waffen, Munition, Sprengstoff und Drogen war fünfzehn Jahre alt, als sie zum ersten Mal Menschen aus Deutschland kennenlernte, dem Land am Ende der Straße, die sich über den dunkel bewaldeten Rücken der Bukovina nach Železná schlängelte, wo sie zur verbotenen Straße wurde. An einem rauen Märztag des Jahres 1990 hatte ein dunkelblauer Volkswagen mit deutschem Kennzeichen vor ihrem Elternhaus in Beˇlá nad Radbuzou angehalten, ein Mann und eine Frau um die fünfzig waren ausgestiegen, hatten sich zögernd der Haustür genähert und zaghaft angeklopft, nachdem sie eine ganze Weile am Gartenzaun gestanden und geschaut hatten, als wollten sie das Haus und die ganze Straße mit weit aufgerissenen Augen verschlingen. Vom Fenster aus konnte sie sehen, dass die Wangen des Mannes von Tränen glitzerten. Ihre Mutter hatte schließlich die Großmutter geholt, die ahnungsvoll den Fremden die Tür öffnete, sie nach einem ausführlichen Wortwechsel hereinbat, ihnen káva und rohlícky und sušenky anbot, und es waren Dinge geschehen, die Ivanas Leben von Grund auf erschütterten, angefangen damit, dass die Deutschen einen anderen Namen für ihren Heimatort hatten, Vajsnsulc , der, wie sie bald danach sah, Weißensulz geschrieben wurde und damit ausgerechnet diesen seltsamen Buchstaben enthielt, den nur die Deutschen kennen. Ihre babiˇcka sprach Deutsch mit den Besuchern, eine Sprache, die sie stets nur für Ausrufe wie himlherrgott krucinálšmarjájózef! gebraucht hatte, und der Mann kannte das Küchenbuffet, er kannte die Vitrine im Wohnzimmer, er erinnerte sich, dass damals schon der Außenflügel des Toilettenfensters gefehlt hatte, er führte die Kaffeetasse zum Mund, hielt inne, betrachtete sie und rief, aus genau dieser Tasse habe er als Kind schon einmal getrunken, am Geburtstag seiner Großmutter, und Ivanas babiˇcka übersetzte alles, was sie sagten.
Später, als sie weg waren, erzählte sie, die beiden hätten sich nur umsehen wollen, der Mann sei hier geboren und aufgewachsen, habe als Kind nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland gehen müssen, und nun sei er gekommen, um seine Heimat von damals wiederzusehen. Auf Ivanas Frage, warum denn seine Familie alles hiergelassen habe, erwiderte sie nur, die Deutschen mussten damals so schnell weg, dass sie nichts mitnehmen konnten, und wir durften ihre Sachen behalten.
Zwar hat Ivana Simaková im Lauf der Jahre mehr über die komplexen Zusammenhänge und blutigen Schauplätze der deutsch-tschechischen Geschichte gelernt, hat sich mit der Absolvierung eines Deutschkurses an der Polizeihochschule eine wichtige Zusatzqualifikation erworben und ist auf Fortbildungsseminaren im stets sorgfältig aufgeräumten Nachbarland gewesen, doch das Gefühl von vor zwanzig Jahren, dass ein Deutscher ihr mit wenigen Worten den Boden unter den Füßen wegziehen kann, ist nie mehr von ihr gewichen. Die Meinung des Reinkarnationsforschers Jiˇri Posmˇechil, dass die toten Sudetendeutschen im Grenzgebiet als ätzende Herkulesstauden wiedergeboren würden, hat sie, im Gegensatz zu nicht wenigen ihrer Landsleute, für absurd gehalten, seit sie ihr das erste Mal zu Ohren kam, aber, denkt sie, von keinem Deutschen kann man wissen, ob nicht einer seiner Vorfahren irgendwann einmal auf tschechischem Staatsgebiet gelebt hat, und so ist sie überzeugt, dass ihre Korrektheit auf dem Prüfstand steht, als der deutsche Kollege ihr eine gebührenpflichtige Verwarnung über 1000 Kronen vorlegt, ausgeschrieben vor einer Stunde bei Rozvadov von einer mobilen Radarstreife der Verkehrspolizei, zu begleichen an Ort und Stelle, und ihr die Frage stellt, ob denn diese Sache nicht über den kleinen Dienstweg wieder aus der Welt zu schaffen
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