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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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Plötzlich hatte Kascha neben sich an der Wand eine verirrte Raupe entdeckt, hatte sie vorsichtig auf ihre Hand gesetzt und über die Straße zum Wiesenrand getragen. »Irgendwann einmal«, hatte sie gesagt, »wenn sie ein Schmetterling geworden ist, wird sie vielleicht einmal auf der Hand eines Menschen sitzen. Und dann wird sie sich an diesen Augenblick wie an einen fernen Traum erinnern, in dem sie schon einmal auf einer Hand saß, von der sie in eine neue Heimat getragen wurde.«
    Das fällt Gloßner jetzt wieder ein, als sie sich nach längerem Aufenthalt am Wildgehege und einigen botanischen Exkursionen nun doch noch dem Gasthof nähern. Katharina Charlotte Halbritter, denkt er, muss ein tief verwurzeltes Bedürfnis haben, andere Wesen zu retten, das sich im Lauf der Jahre erstaunlicherweise nicht abgenutzt hat.
    Kascha geht kurz auf ihr Zimmer – »duschen und umziehen«, und Gloßner bekommt unterdessen von der Schwiegertochter der Wirtin nicht nur ein Bier serviert, sondern auch – nebst Notizzettel mit Name und Telefonnummer – die Botschaft übermittelt, dass jemand von der Polizei angerufen hat, und der Herr Kommissar soll sofort zurückrufen, wenn er wieder da ist.
    Das ist dem Gloßner noch in keinem seiner Urlaube in Lindau passiert. Gott sei Dank, stellt er nach einem Blick auf die Notiz fest, kam der Anruf nicht von seiner Dienststelle. Aber was kann der Mattusch bloß von ihm wollen?
    »Helmut, was gibt’s?«
    »Sigi! Na endlich. Wohin bist du denn abgetaucht, sag einmal? Stürzt du dich in das tschechische Nachtclubleben?«
    An dem hat Gloßner, wenn überhaupt, allenfalls ein beruflich bedingtes Interesse, und also sagt er: »Hast du mich angerufen, um mir die Urlaubslaune zu verderben?«
    »Nein, Quatsch. Ich mein’s ja nicht so. Pass auf, ich brauch eine Auskunft von dir. Ich muss dringend unsere Halbritter erreichen. Die hat aber gerade Praxisurlaub, und ihr Handy funktioniert irgendwie nicht. Du kennst sie doch ein bisschen näher. Hast du rein zufällig eine Ahnung, wo die steckt?«
    Gloßners lapidares »Hier« macht Mattusch eine Weile sprachlos.
    »Ihr seid zusammen in Urlaub? Oho. Ich hab keine Ahnung gehabt, dass ihr –«
    Ein wunder Punkt bei Gloßner.
    »Nein!« unterbricht er, »das ist ganz anders. Ich hab hier ein Ferienhaus, und die Halbritter«, sagt er betont ruppig, »hat ein Zimmer im Gasthof.«
    »Ist ja gut! Du, wir brauchen sie ganz dringend – meinst du, sie kann noch heute nach Nürnberg kommen?«
    »Die Halbritter ist gerade auf ihrem Zimmer. Ich sag ihr, sie soll dich anrufen, wenn sie runterkommt. Aber ich hab für heute Abend einen Tisch reserviert beim Weiherblasch.«
    Und Gloßner bricht das Gespräch brüsk ab.
     
    *
     
    Moritz pustet Geburtstagskerzen aus.
    Moritz hält eine Schultüte in der Hand.
    Moritz geht mit seinen Großeltern spazieren.
    Moritz steht auf einem Podium, hinter ihm ein Flügel und ein Transparent »Jugend musiziert 2003«.
    Moritz sitzt auf einer Rutschbahn und winkt.
    Moritz baut aus Ästen und Steinen einen Damm.
    Moritz sitzt am Flügel. Seine Beine reichen noch nicht bis zum Boden. Im Zimmer steht ein Weihnachtsbaum. Vor dem Flügel stehen zwei Frauen.
    »Ist das seine Mutter?«
    Zoe deutet auf die jüngere von beiden, die ein elegantes mauvefarbenes Kleid trägt.
    »Ja. Miriam, unsere Schwiegertochter. Daneben, das ist Gerlinde, meine Schwester.«
    Moritz hat den rechten Arm in der Schlinge.
    »Da ist er vom Fahrrad gestürzt und hat sich den Arm gebrochen. Und wissen Sie, was er gemacht hat, bis alles verheilt war?«
    Inge Rißmanns Mund lächelt, ihren Augen fällt es schwer.
    »Er hat sich das Klavierkonzert für die linke Hand von Ravel besorgt. Wochenlang hat er das Stück geübt. Und dann hat er gesagt, was für ein Glück, dass ich mir den rechten Arm gebrochen hab. Jetzt ist meine linke Hand genauso gut entwickelt wie die rechte.«
    Unzählbar sind die Fotografien, die im geräumigen Vorzimmer der Mögeldorfer Villa jeden freien Platz an den Wänden bedecken, jede einzelne von ihnen in einem Rahmen.
    »Kommen Sie, setzen wir uns auf die Terrasse. Wenn ich Ihnen zu allen Fotos die Geschichte erzählen würde, stünden wir in einem Monat noch hier. Möchten Sie einen Eistee?«
    Sanft wird Zoe durch einen riesigen Salon geleitet, zwei Wände mit Bücherregalen, der Flügel, dessen fotografisches Abbild sie eben gesehen hat, eine Sitzgruppe, etwas abseits ein Lesesessel. Auf der schattigen Terrasse liegt ein schlanker,

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