Blaulicht
sei.
»Machen Sie einen Scherz mit mir, Herr Kollege Kalz?« fragt sie also mit hochgezogenen Augenbrauen und schiebt ihm das Papier wieder zurück, nicht ahnend, dass sie damit hinter der unbewegten Miene des kräftigen, groß gewachsenen Mannes eine innere Revolte gegen sämtliche weibliche Wesen auslöst, denen er in den vergangenen drei Tagen begegnet ist, inbegriffen sie selbst und die weibliche Stimme des Navigationssystems, das zwanzig Kilometer vor Pilsen seinen Dienst versagt und ihn auf der entscheidenden Etappe durch die hitzeglühende Stadt im Stich gelassen hat.
»In Deutschland werden immer zehn Prozent Messtoleranz abgezogen.« Kalz lässt nicht locker.
»In Tschechien auch. Unsere Verkehrspolizei arbeitet mit Geräten aus Deutschland. Kümmern wir uns jetzt um die Angelegenheit, die Sie hierherführt, Herr Kollege.«
Ivana Simaková rückt näher an den Schreibtisch, stützt ihr Kinn auf ihre gefalteten Hände und benutzt die Waffe, die sie noch besser beherrscht als ihre Pistole: ihre undurchdringlichen blauen Augen. Ihr Gegenüber gibt auf und zieht die erkennungsdienstliche Fotografie einer jungen Frau aus seiner Aktenmappe.
»Es geht um dieses Mädchen, Sandra Kovács. Sie wurde vorgestern in Nürnberg festgenommen, als sie auf offener Straße mit einem Messer auf einen ihrer ehemaligen Lehrer losging, und musste anschließend ins Krankenhaus eingeliefert werden. Weil Verdacht auf eine Drogenvergiftung bestand, wurde sie untersucht, und der Laborbefund ergab, dass sie irgendein Zeug genommen hat, das fast identisch ist mit PepZero. Außerdem hatte sie noch ein paar von diesen Pillen bei sich.«
Der Deutsche sieht sie bedeutungsschwanger an.
»Wir wissen, dass sie sich in jüngster Zeit in Pilsen aufgehalten hat. Wir wissen auch, dass PepZero höchstwahrscheinlich aus einer Giftküche in Tschechien, wahrscheinlich aus Pilsen oder der Umgebung von Pilsen stammt. Aber wir wissen noch zu wenig über die Leute, die das Zeug in Umlauf bringen. Was wir wissen ist, dass dieses Dreckszeug und die Typen, die dahinter stecken schon mindestens vier Todesfälle auf dem Gewissen haben. Alles junge Menschen, die PepZero genommen haben.«
Eine Weile hört man nur ein paar Autos auf der Anglické nábrˇeží vorbeifahren, und Ivana Simaková studiert eingehend die Fotografie, die Sandra und ihren Mentor Gerlach zeigt, aufgenommen im Musiksaal des Haßler-Gymnasiums.
»Ist hübsches Mädchen«, stellt sie fest.
»Das war sie mal. Inzwischen sieht sie aus wie ein Zombie.«
»Wer ist noch auf dem Foto? Ihr Vater?«
»Nein, ihr Musiklehrer – der Mann, den sie niedergestochen hat.«
»Wenn ich bin ehrlich, Herr Kollege«, sagt sie schließlich, »ich sehe nicht viel Chancen, dass wir heute zu einem Ergebnis kommen werden. Natürlich ich kenne Lokale, wo wir können hingehen für Recherche, wenn Sie das wünschen, und es kann dort Leute geben, wo möglich ist, dass sie Sandra Kovács gesehen haben. Aber vergessen Sie nicht, Plzeˇn ist eine Stadt mit hundertsiebzigtausend Einwohner, und wenn sie nur kurz ist hier gewesen, dann werden wir viel Glück brauchen. Was genau versprechen Sie sich, Herr Kollege Kalz? Nach dem Drogenring fahnden wir selbst.«
Der holt noch einmal gründlich aus, weist mit Nachdruck darauf hin, dass die Kovács insofern, als sie in zwei verschiedene Fälle verstrickt ist, eine Schlüsselfigur sein könnte, und versichert, er wäre ganz außerordentlich dankbar, wenn er selbst sich ein Bild von der hiesigen Szene machen könnte.
»Dann möchten Sie heute in Plzeˇn übernachten?«
Kalz nickt. Die Simaková hebt den Hörer des nagelneuen Telefons ab, das inmitten der altmodischen, abgeschabten Registraturschränke in ihrem Büro ähnlich deplaziert wirkt wie das neueste BMW-Modell auf einem Oldtimertreffen, und reserviert ihrem Kollegen aus Deutschland ein Zimmer im U Salzmannu.
»Das ist nur drei Minuten von hier. Ein Stück geradeaus und dann links um Ecke«, sagt sie. »Dort trinken Sie Kaffee, oder essen Kleinigkeit. Um«, sie wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr, als traue sie der Wanduhr nicht, die schon zu den Zeiten von Beneš und Gottwald ihren Dienst versehen haben muss, »achtzehn Uhr ich werde Sie abholen und wir werden uns umsehen.« Sie umrundet den Schreibtisch und reicht ihm die Hand. »Wir sehen uns heute Abend im Hotel, Herr Kalz.«
*
Hätte Siegfried Gloßner geahnt, was auf ihn zukommen würde, als er Frau Dr. Halbritter zu einer kleinen Tour
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