Blaulicht
haben Sie vollkommen recht«, in Mattuschs Stimme schwingt jetzt wieder dieser ganz bestimmte Ton mit, den er selbst nicht ausstehen kann. »Sandra Kovács ist der Knackpunkt. Eine junge Frau von noch nicht einmal zwanzig Jahren. Und Sie, Kalz, sind in erster Linie Ermittler bei Gewaltverbrechen, ich finde es schade, dass ich Sie daran erinnern muss. Der Tschechenfall ist wichtig, ich kann Ihr Engagement in dieser Sache vollkommen verstehen und finde es vorbildlich. Das heißt aber nicht, dass alles andere keine Bedeutung hat – vor allem nicht, wenn es um ein derart junges Leben geht wie das von Sandra Kovács. Sie werden also noch heute versuchen, etwas aus ihr herauszubekommen, was in direktem Zusammenhang mit diesem Fall, ich betone: mit diesem Fall! steht. Sie haben selbst gerade vollkommen richtig gesagt, dass es um Menschenleben geht, und das beinhaltet auch das von Sandra Kovács, Sie verstehen mich! Also möchte ich, dass Sie sich um den Gerlach kümmern, sobald der vernehmungsfähig ist. Alles klar?«
»Sicher, Chef.«
Auf der Oberlippe von Kalz haben sich winzige Schweißtropfen gebildet, während Mattusch nun ganze Bäche von der Stirn rinnen. Er kann es nicht ausstehen, den Chef rauskehren zu müssen und er ahnt, dass der Gerlach so schnell nicht vernehmungsfähig sein wird, jedenfalls nicht nach der Prognose des behandelnden Arztes. Warum also hat er sich derartig idiotisch verhalten?
Als die beiden Ermittler dabei sind, sein Büro zu verlassen, räuspert Mattusch sich kurz:
»Zoe, ich denke, wir sollten Ihre beiden Hinweise nicht außer Acht lassen. Versuchen Sie, etwas rauszubekommen. Allerdings brauchen wir rasch Ergebnisse. Der Tobisch rotiert – Sie verstehen, was das bedeutet?«
Die junge Griechin nickt, und für einen kurzen Moment sieht sie aus wie eine Nana Mouskouri, die ihren Text vergessen hat.
*
Dr. Weller hatte seiner Auskunft, er halte Sandra Kovács’ Zustand momentan für hinreichend stabil, hinzugefügt: »Allerdings spreche ich ausschließlich vom physischen Zustand und meine ›momentan‹ wörtlich, bei der Patientin schwanken die Vitalfunktionen enorm.« Erst auf Zoes dringendes Bohren, ob denn etwas dagegen spräche, dass sie und ihr Kollege sich selbst ein Bild von Sandras Vernehmungsfähigkeit machten, hatte er eine gewisse Kooperationsbereitschaft signalisiert und schließlich zugestimmt – allerdings unter der Voraussetzung, selbst mit anwesend zu sein, um im Notfall eingreifen zu können.
Und diese durchaus vielsagende Bemerkung, er spreche ausschließlich vom physischen Zustand, hat Zoe dazu veranlasst, das zu tun, was sie jetzt tut und was den Kalz wiederum dazu bringt, trocken zu konstatieren: »Das können Sie machen, wenn Sie eine Ihrer zwanzig Großtanten im Krankenhaus besuchen!«
Zoe betritt nämlich nicht zielstrebig das Gelände des Nordklinikums, sondern hält am Blumenladen, der sich links vom Eingang befindet, inne und stellt aus dem Angebot, das vor dem Schaufenster präsentiert wird, mit raschen Griffen einen farbenfrohen kleinen Strauß aus Gerbera, Nelken und weißen Rosen zusammen.
»Weiße Rosen aus Athen.« Kalz schaut auf seine Armbanduhr. Sein rechter Fuß, in einen weichen hellbeigen Rindsledermokassin gekleidet, tappt nervös auf den Asphalt.
»Ich halte es nach dem Gespräch mit Dr. Weller für richtig, dem Mädchen Leben mitzubringen. Sie wissen doch, wie es in Krankenhauszimmern«, kurz ist sie der Versuchung nah, zu sagen: in deutschen Krankenhauszimmern, »aussieht. Weiße Betten, ein paar Plastikstühle, und an der Wand irgendein erbärmlicher Kunstdruck.«
Kalz schnaubt irgendwas von Kindergarteneiapopeia, und ob sie denn – jetzt muss er laut werden, denn ein Rettungswagen fährt an ihnen vorbei zur Notaufnahme –, ob sie denn noch nicht genug von diesen Menschen gesehen habe, bei denen alles zu spät ist, und die man nur noch lebenslänglich in der Geschlossenen aufbewahren könne, et cetera, und so ist der wachhabende Beamte direkt hinter dem Eingang von der 39 E zunächst geneigt, das Paar, dem soeben auf Klingelzeichen die Tür geöffnet wurde, für streitbare Verwandte des Mädchens zu halten, das unter Verschluss zu halten noch bis Schichtende um 13 Uhr seine Aufgabe ist.
Zoe und Kalz präsentieren ihre Dienstausweise.
»Wir sind die Kollegen vom K1. Dr. Weller weiß Bescheid.«
Der kommt im selben Augenblick aus einem Patientenzimmer und nähert sich eilig. Erläutert nach kurzem Händedruck, dass
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