Blaulicht
sich erneut salzige Bäche ihren Weg abwärts.
»Da konnte nichts mehr sein zwischen Sandra und Rizzo«, flüstert sie schließlich, »Moritz hat sich umgebracht.«
*
Auf ihrem Rückweg ins Präsidium hatte Zoe kurz beim Üstel-Markt in der Knauerstraße haltgemacht und sich drei Becher Ayran gekauft – bei diesen Temperaturen ist Ayran das einzig Wahre gegen den Durst. Einen hatte sie gleich getrunken und ihr Fahrrad dabei über den Bauernplatz geschoben. Für einen Augenblick hatte sie überlegt, ob sie sich an einen der Tische vor dem arabischen Restaurant setzen sollte, der dichte Schatten unter den kleinen Bäumen schien ihr weitaus verlockender als die Vorstellung, über den glühendheißen Plärrer Richtung Jakobsplatz zu strampeln. Aber erstens waren alle Tische besetzt, und zweitens brannten ihr die Fragen auf der Seele, denen sie auch im Schatten nicht hätte auskommen können. Wäre sie nur eine Dreiviertelstunde früher vorbeigekommen, hätte sie Helmut Mattusch hier noch mit einem überaus seltsamen Kauz sitzen sehen und hätte ihm von diesen Fragen erzählen können, die in ihrem Kopf kreisten wie die Wespen über den Tellern der Gäste – warum verschwindet Sandra Kovács Hals über Kopf, meidet Nürnberg fast drei Jahre lang, hält lediglich über ihre beste Freundin und ihre kleine Schwester sporadischen Kontakt, nur um plötzlich wieder aufzutauchen und ihren ehemaligen Musiklehrer niederzustechen? Was war der Grund dafür, und warum hat sie es ausgerechnet jetzt getan?
Zurück im stickigen Büro hören die Fragen nicht auf, wie ein wild gewordener Insektenschwarm in Zoes Kopf zu brummen. Von Direktor Frauenknecht hatte sie zwischenzeitlich erfahren, dass man zu Sandra Kovács’ engerem Freundeskreis am Haßler-Gymnasium eigentlich nur die drei zählen könne, mit denen sie ein Jazzquartett formiert hatte – Moritz Rißmann, Heike Harms und noch ein gewisser Fabian Menzel. »Über ihre Beziehungen außerhalb der Schule kann ich Ihnen natürlich nichts sagen. Hier am HLH hatten sie sich zu der Zeit ein wenig abgesondert.« Heike selbst hatte ergänzt, dass sie ihre Band Blue Sunshine genannt hatten. Und dass Sandra und Moritz ein Paar waren – bis zu dessen tragischem Tod. In den Berichten der Kollegen, die damals in der Sache ermittelt hatten, war von Unfall oder Selbstmord die Rede, man hatte seine Leiche nahe des Wöhrder Talübergangs geborgen und bis auf einige postmortale Verletzungen keinerlei Anzeichen für äußere Gewalteinwirkung gefunden. Deshalb Unfall oder Selbstmord. Heike hatte aber darauf beharrt, dass Moritz sich umgebracht habe und auf Zoes Frage, warum sie sich da so sicher sei, immer wieder Wolfgang Gerlach angeführt.
»Gerlach wollte nicht, dass Sandra mit Rizzo zusammen ist.« »Gerlach hat sich ständig neue Gemeinheiten ausgedacht.« »Gerlach, das Schwein, hat Rizzo fertiggemacht.« »Gerlach hat ihn auf dem Gewissen!«
Aber das alles ergibt doch einfach keinen Sinn! Selbst wenn man annimmt, dass Moritz Rißmann von Gerlach so sehr schikaniert worden wäre, dass er irgendwann keinen anderen Ausweg mehr gewusst hätte, als sich selbst das Leben zu nehmen, selbst wenn man hier ein Motiv für Sandras Messerattacke auf ihren ehemaligen Lehrer sehen könnte – warum dann diese enorme Zeitverzögerung? Warum wartet Sandra fast drei Jahre, um ihren Freund zu rächen? Und warum tut sie es auf diese Weise? Wenn sie ein eiskalt kalkulierender Kopf wäre, der keinen Verdacht auf sich lenken wollte und aus diesem Grunde eine gewisse Zeit verstreichen lässt, hätte sie ihn doch nicht am helllichten Tag auf offener Straße attackiert und dann wie eine Schlafwandlerin gewartet, bis man sie abholt.
Während Zoe ihren letzten Ayran trinkt, erklärt ihr eine freundliche Telefonstimme, dass ihr Schwager gerade auf der Piste sei und heute auch nicht mehr ins Büro käme. Es wird also nichts mit der Befragung der Dame vom horizontalen Gewerbe, die Gerlach damals auf dem Zeitungsfoto wiedererkannt und sich daraufhin bei einem Kollegen von der Sitte gemeldet hatte. Auch dieser Schuster von der Bild- Zeitung, der den angeblichen Missbrauchsfall damals auf die Titelseite gebracht hatte, und der, wie die heutige Schlagzeile im Lokalteil beweist, immer noch am Ball ist, ist ausgeflogen. Fabian Menzel war zwar offiziell bei seinen Eltern gemeldet, doch die hatten keine Ahnung, wo er sich momentan aufhielt‚ treibt sich doch sowieso ewig mit diesen Punkern rum
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