Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bleakhouse

Bleakhouse

Titel: Bleakhouse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
gut«, sagt er, als sie wieder halblaut ihren Dank beteuert, wünscht ihr guten Tag und geht.
    »Toms Einöd« schläft immer noch, und nichts regt sich.
    Doch! Etwas regt sich. Als der Arzt wieder nach der Stelle zurückgeht, von wo aus er die Frau auf der Türstufe hat sitzen sehen, bemerkt er eine zerlumpte Gestalt, die sich vorsichtig dicht an den feuchten Wänden hinschleicht. Dem Äußern nach ist es ein junger Mensch von abgezehrtem Aussehen und mit fieberhaft glühenden Augen. Er ist so darauf bedacht, unbemerkt zu bleiben, daß sogar die Erscheinung eines Fremden in guten Kleidern ihn nicht in Versuchung bringt, sich umzusehen. Wie er zu einem Straßenübergang kommt, verbirgt er das Gesicht hinter seinem zerlumpten Ellbogen und schleicht zusammengekauert, fast kriechend, weiter, die Hand suchend vor sich ausgestreckt. In Lumpen hängen die zerfetzten Kleider um ihn herum, und es ist unmöglich, zu sagen, aus welchem Stoff sie jemals gemacht wurden. Der Farbe und Beschaffenheit nach sehen sie wie ein Bündel im Morast gewachsner Blätter aus, die längst verfault sind.
    Allan Woodcourt bleibt stehen und blickt dem Knaben nach, mit dem dunklen Gefühl, ihn schon einmal irgendwo gesehen haben zu müssen. Er kann sich nur nicht erinnern, wann oder wo. Er denkt zuletzt, er werde ihn wohl in einem Hospital oder in einem Asyl getroffen haben, aber er kann nicht herausbekommen, warum er sich so besonders in seiner Erinnerung abhebt.
    Er kommt allmählich aus den Grenzen von »Toms Einöd« heraus in den lichten Morgen und denkt noch darüber nach, als er laufende Schritte hinter sich hört und, wie er sich umsieht, den Knaben in großer Eile, verfolgt von der Frau, auf sich zurennen sieht.
    »Aufhalten, aufhalten!« ruft die Frau atemlos. »Halten Sie ihn auf, Sir!«
    Er springt in die Mitte der Straße, um dem Jungen den Weg abzuschneiden. Aber dieser ist rascher als er, schlägt einen Haken, duckt sich, entschlüpft seinen Händen, kommt ein halbes Dutzend Schritte weiter wieder zum Vorschein und setzt seine Flucht fort.
    Immer noch verfolgt ihn die Frau mit dem Ruf: »Aufhalten! Halten Sie ihn auf, Sir!«
    Allan, in der Meinung, daß der Junge ihr vielleicht ihr Geld gestohlen habe, macht auf ihn Jagd und läuft so rasch, daß er ihn wohl ein Dutzend Mal überholt, aber jedes Mal schlägt dieser wieder einen Haken, duckt sich und entwischt. Ihm bei einer solchen Gelegenheit einen Schlag zu versetzen, würde der Jagd sogleich ein Ende machen, aber dazu kann sich Mr. Woodcourt nicht entschließen, und so dauert die phantastische lächerliche Verfolgung fort. Endlich verläuft sich der Flüchtling in seiner Bedrängnis in eine schmale Sackgasse. Hier, an einer morschen Planke, kann er nicht mehr entkommen und kauert sich zusammen, seinen Verfolger ankeuchend, der ebenfalls außer Atem vor ihm steht und wartet, bis die Frau herankommt.
    »Du, Jo«, ruft die Frau. »Was? Habe ich dich endlich gefunden!«
    »Jo?« wiederholt Allan und betrachtet den Jungen aufmerksam. »Jo! Wart einmal. Ja richtig! Ich erinnere mich, dich vor einiger Zeit bei einer Leichenschau gesehen zu haben.«
    »Ja, i hab Ihna schon amal bei der Totenschau gsehn«, wimmert Jo. »Was is da weiter? Können S net an Unglücklichen wie mich in Ruh lassn? Bin i net auch so schon unglücklich genug. Wie unglücklich soll i denn noch werdn. I bin hin- und hergestoßn worn, erst von dem einen, dann von dem andern, bis i nur noch Haut und Knochen bin. An der Totenschau war i net schuld. I hab nie nix tan. Er war immer sehr gut gegen mich. Er war der einzige, was mit mir gsprochn hat, wenn er über die Straßen gangen is. Warum hätt i ihm denn a Totenschau wünschn sollen? I wollte, i war selbst schon so weit. I weiß überhaupt net, warum i net hergeh und a Loch ins Wasser mach. Wirkli net...«
    Er bringt das mit so einer erbärmlichen Miene vor, seine schmutzigen Tränen scheinen so echt zu sein, und er liegt in dem Winkel der Verplankung, einem Schwamm oder einem andern aus Unreinlichkeit oder dergleichen entstandnen krankhaften Gewächs so ähnlich, daß Allan Woodcourt milder gegen ihn gestimmt wird.
    »Was hat denn dieses jämmerliche Geschöpf getan?« fragt er die Frau.
    »O du, Jo, habe ich dich endlich gefunden!« Sie schüttelt mehr in Verwunderung als in Zorn den Kopf, wie sie auf die auf dem Boden kauernde Gestalt heruntersieht.
    »Was hat er denn getan?« wiederholt Allan. »Hat er Sie beraubt?«
    »Nein, Sir, nein. Mich beraubt? Er ist

Weitere Kostenlose Bücher