Bleakhouse
sein.«
»Gott segne Sie«, sagte ich, und meine Augen füllten sich mit Tränen; aber ich schämte mich ihrer nicht, da ich ja nicht meinetwegen weinte. »Ada liebt ihn – wir alle lieben ihn –, aber Ada liebt ihn, wie wir es nicht können. Ich will ihr mitteilen, was Sie gesagt haben. Ich danke Ihnen, und Gott segne Sie in ihrem Namen.«
Richard kehrte zurück, kaum daß wir diese hastigen Worte mit einander gesprochen hatten, und reichte mir den Arm, um mich zur Kutsche zu führen.
»Woodcourt«, sagte er, ohne zu ahnen, wie gut es zu dem paßte, was wir eben besprochen hatten, »wir sehen uns doch in London?«
»Sehen? Ich habe jetzt kaum einen andern Bekannten dort als Sie. Wo kann ich Sie dort treffen?«
»Ich muß mich natürlich nach einer Wohnung umsehen«, sagte Richard nachdenklich. »Sagen wir bei Vholes, Symond's-Inn.«
»Also gut! Spätestens übermorgen.«
Sie schüttelten sich herzlich die Hände, und als ich in der Kutsche saß und Richard noch auf der Straße stand, legte Mr. Woodcourt wie freundschaftlich die Hand auf seine Schulter und sah mich dabei an. Ich verstand ihn. In seinem letzten Blick, als wir fort fuhren, las ich, wie sehr ich ihm leid tat. Ich freute mich darüber.
Ich fühlte für mein ehemaliges Ich, wie vielleicht die Toten fühlen mögen, wenn sie diese Erde wieder besuchen.
46. Kapitel
Aufhalten! Aufhalten!
Finsternis ruht auf »Toms Einöd«. Immer mehr und mehr hat sie sich ausgebreitet, seit abends die Sonne unterging, und ist allmählich so angeschwollen, daß sie alles ausfüllt. Eine Zeitlang brannten noch einige halbverhungerte Lichter, wie die Lebenslampe in »Toms Einöd« brennt, schwer atmend in der ekelhaften Luft. Jetzt sind sie erloschen. Der Mond hat »Toms Einöd« trüb und kalt angestarrt, als sei dieser Ort ein jämmerliches Abbild seiner Wüsteneien, in deren ausgebrannten Kratern nichts leben kann und alles von vulkanischen Feuern zerstört ist. Dann ist er weiter durch die Wolken gezogen. Ein höllischer Alpdruck aus den schwärzesten Regionen liegt auf dem schlafenden »Toms Einöd«. Ein gewaltiges Gerede ist über »Tom« in- und außerhalb des Parlaments gewesen, und zornig wurde darüber gestritten, wie »Tom« geholfen werden könne. Ob ihn Konstabler oder Büttel, Glockenläuten oder ästhetische Grundsätze, die Hochkirche oder die gewöhnliche auf den rechten Weg bringen solle; ob er die polemischen Strohhalme mit dem schartigen Messer seines Geistes spalten oder lieber Steine klopfen solle. Unter all dem aufgewirbelten Staub und dem Lärm ist nur das eine klar: daß »Tom« nur theoretisch, aber nicht praktisch gebessert werden kann, soll und wird. Und in der hoffnungsreichen Zwischenzeit geht »Tom« mit seiner alten entschloßnen Weise, den Kopf voran, zum Teufel. Aber er hat seine Rache. Selbst der Wind ist sein Bote und dient ihm in diesen Stunden der Finsternis.
Da ist kein Tropfen von »Toms« verderbtem Blut, der nicht irgendwohin Ansteckung und Seuche verpflanzte. Noch heute nacht wird er das erlauchte Blut eines normannischen Hauses vergiften, und Seiner Erlaucht, dem Familienoberhaupt, wird es nicht gestattet sein, zu dieser verunehrenden Blutsverbindung nein zu sagen. Nicht ein Atom geht verloren von »Toms« Schmutz, kein Kubikzoll der verpesteten Luft, das er atmen muß, keine Untätigkeit oder Verkommenheit um ihn herum, nichts von der Bosheit, Unwissenheit und Roheit seines Tuns geht verloren, ohne durch alle Gesellschaftsklassen hindurch bis zu den Stolzesten der Stolzen und dem Höchsten der Hohen hinauf Vergeltung zu üben. Wenn man Ansteckung, Raub und Verderbnis zusammen rechnet, wahrhaftig, dann hat »Tom« seine Rache.
Ein strittiger Punkt ist, ob »Toms Einöd« scheußlicher aussieht bei Tag oder bei Nacht. Da es Tatsache ist, daß es um so häßlicher wird, je mehr man davon sieht, und die Phantasie in diesem Fall von der Wirklichkeit noch weit übertroffen wird, so trägt der Tag den Sieg davon.
Er bricht jetzt langsam an, und wenn auch im britischen Reich die Sonne nie untergeht, so wäre es für den Nationalruhm vielleicht besser, wenn sie über einem so scheußlichen Weltwunder wie »Toms Einöd« auch nie aufginge.
Ein sonnenverbrannter feiner Herr, der, außerstande zu schlafen, lieber herumwandern zu wollen scheint, als die Stunden auf schlummerlosem Pfühl zu zählen, hat sich bis hierher verirrt. Von Neugierde getrieben, bleibt er oft stehen und blickt die elenden Seitengassen hinauf und
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