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Bleakhouse

Bleakhouse

Titel: Bleakhouse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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hinunter. Er ist aber auch nicht bloß neugierig, denn in seinem lebhaften dunklen Auge glänzt es wie Mitleid, und wie er umherschaut, scheint er ein gewisses Verständnis für solches Elend zu haben und es vielleicht von früher her zu kennen.
    Am Rande des stagnierenden Schmutzkanals, der die Hauptstraße von »Toms Einöd« bildet, ist nichts zu sehen als baufällige Häuser, verschlossen und stumm. Kein wachendes Geschöpf zeigt sich, nur die einsame Gestalt einer Frau sitzt auf einer Türstufe. Dorthin lenkt Mr. Allan Woodcourt seine Schritte, und wie er näher kommt, bemerkt er, daß sie einen langen Weg gereist sein muß und wunde und bestaubte Füße hat. Sie sitzt auf der Türstufe wie jemand, der wartet, den Ellbogen auf die Knie gestützt und den Kopf in der Hand ruhend. Neben ihr liegt ein leinenes Bündel, das sie getragen hat. Sie scheint im Halbschlummer dazusitzen, denn sie achtet nicht auf das Geräusch seiner näher kommenden Schritte. Der holprige Fußsteig ist so schmal, daß Allan Woodcourt, als er die Frau erreicht, auf den Fahrweg treten muß, um an ihr vorbei zu kommen. Wie er ihr ins Gesicht blickt, begegnet sein Auge dem ihren, und er bleibt stehen.
    »Was machen Sie hier?«
    »Nichts, Sir.«
    »Wollen Sie vielleicht hinein? Hört man Sie nicht drin?«
    »Ich warte nur, bis sie in der Nähe aufsperren – das Logierhaus«, gibt die Frau geduldig zur Antwort. »Und auf die Sonne, um mich zu wärmen.«
    »Sie sind wohl müde? Es tut mir leid, Sie so auf der Straße sitzen zu sehen.«
    »Ich danke Ihnen, Sir. Es macht weiter nichts.«
    – Er ist gewohnt, mit armen Leuten zu sprechen, und vermeidet geflissentlich alles Gönnerhafte oder Herablassende und ist dadurch mit der Frau sofort gut freund. –
    »Lassen Sie mich Ihre Stirne ansehen«, sagt er und beugt sich nieder. »Ich bin Arzt. Haben Sie keine Angst. Ich werde Ihnen nicht weh tun.«
    – Er weiß, daß er durch die Berührung seiner geschickten und geübten Hand ihre Schmerzen nur lindern kann. – Sie wehrt sich ein wenig und sagt: »Es ist nichts.« Aber er hat kaum mit seinen Fingern den wunden Fleck berührt, da dreht sie ihre Stirn dem Licht zu, damit er besser sehen könne.
    »Hm! Eine arge Wunde; die Haut ist sehr zerrissen. Es muß sehr weh tun.«
    »Es tut ein bißchen weh, Sir«, gibt die Frau zu, während eine Träne über ihre Wange rollt.
    »Ich werde versuchen, sie Ihnen weniger schmerzhaft zu machen. Mein Taschentuch wird Ihnen nicht weiter weh tun.«
    »Oh, gewiß nicht, Sir.«
    Er reinigt die Wunde und trocknet sie, und nachdem er sie sorgfältig untersucht und mit der Handfläche leise gedrückt hat, nimmt er ein Etui aus der Tasche und verbindet sie. Während er so beschäftigt ist, sagt er, bei diesem Versuch, auf der Straße ein Lazarett zu errichten, lächelnd:
    »Ihr Mann ist Ziegelstreicher?«
    »Wieso wissen Sie das, Sir?« fragt die Frau verwundert.
    »Nun, ich schließe es aus der Farbe der Flecken auf Ihrem Bündel und an Ihrem Kleid. Und ich weiß, daß Ziegelstreicher, die auf Stück arbeiten, oft von Ort zu Ort ziehen. Es ist sehr bedauerlich, daß sie oft ihre Weiber mißhandeln.«
    Die Frau blickt hastig auf, als wolle sie leugnen, daß ihre Verletzung von einem Schlag herrührt. Aber da sie die Hand des Arztes auf ihrer Stirn fühlt und sein ruhiges Gesicht sieht, läßt sie den Blick stumm wieder sinken.
    »Wo ist er jetzt?«
    »Er hat gestern abend Ärger mit der Polizei gehabt, Sir, und will mich im Logierhaus aufsuchen.«
    »Er wird noch in schlimmere Ungelegenheiten kommen, wenn er seine schwere Hand nicht besser im Zaum hält. Aber da Sie ihm verzeihen, wie ich sehe, so brutal er auch ist, rede ich nichts weiter davon. Ich wünschte nur, er wäre dessen würdig. – Sie haben kein Kind?«
    Die Frau schüttelt den Kopf. »Eins, das ich zwar mein nenne, Sir, aber es gehört Liz.«
    »Ihres ist tot? Ich verstehe schon. Das arme Kleine!«
    – Er ist jetzt fertig und packt sein Etui wieder zusammen. »Ich vermute, Sie haben eine ständige Bleibe. Ist sie weit von hier?« – Er winkt ihr gutmütig ab, als sie aufsteht und ihm danken will.
    »Es sind gute zwei- oder dreiundzwanzig Meilen von hier, Sir. St. Albans... Sie kennen St. Albans, Sir?« – Mr. Allan Woodcourt war zusammengezuckt. –
    »Ja, ich kenne es ein wenig. Und jetzt will ich Ihnen eine Frage stellen. Haben Sie Geld für Ihre Unterkunft?«
    »Ja, Sir. Wirklich und wahrhaftig.« Und sie zeigt es ihm.
    »Schon gut, schon

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