Bleib doch, liebes Hausgespenst!
und brachte ihm das Bild. „So sieht er aus! Das Bild hat schon hier im Haus gehangen, als wir einzogen!“
„Ja, und ich wollte es auf den Dachboden verbannen“, erinnerte sich Herr Schmidt, „damit fing, glaube ich, der ganze Rummel an.“
Herr Stein betrachtete aufmerksam das Gemälde. Es zeigte einen Jungen mit weißer Perücke, weit auseinanderstehenden blauen Augen und einem feinen Gesicht. Gekleidet war er in einen kleinen Frack aus hellblauer Seide, aus dem ein weißes Rüschenhemd quoll. Die Beine hatte er zierlich übereinandergeschlagen; sie steckten in weißen Zwirnstrümpfen und zusammengebundenen Kniehosen. An den Füßen trug er schwarze Lackschuhe, die mit silbernen Schnallen geschmückt waren.
„So siehst du also diesen Geist!“ sagte Herr Stein.
Monika wurde sofort hellhörig. „Sie meinen, daß ich mir was zusammenfabuliere?! Nein, nein, so sehe ich ihn nicht, so sieht er wirklich aus... das ist er!“
„Und warum gibt er jetzt nicht das kleinste Zeichen? Du sagtest doch vorhin, wenn ich mich recht erinnere, daß er sehr empfindlich ist und sich schon rührt, wenn man nur über ihn spricht.“
„Ja, das tut er auch gewöhnlich“, sagte Monika verwirrt.
„Das ist wirklich wahr!“ unterstützte Liane sie. „Normalerweise braucht man seinen Namen bloß in den Mund zu nehmen, und schon passiert ein Unglück!“
„Genauso ist es!“ bestätigte Frau Schmidt. „Das müssen Sie uns schon glauben, Herr Stein!“
„Hm, na ja!“ Herr Stein rieb sich das längliche, gut rasierte Kinn. „Jetzt mal ’ne ganz direkte Frage... hast du das Gefühl, daß dieser Geist jetzt anwesend ist?“
„Gefühl!?“ wiederholte Monika. „Nein, ich weiß nicht.“ Sie dachte nach. „Gewöhnlich wird mir kalt, ich fange an zu frösteln, bevor er auftaucht. Daran merke ich, daß er in der Nähe ist.“
„Und jetzt?“
„Ich weiß nicht“, sagte Monika zögernd, aber dann platzte sie heraus: „Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er nicht hier ist! Er ist nämlich schrecklich neugierig, müssen Sie wissen. Wenn Gäste ins Haus kommen, gerät er immer außer Rand und Band.“
„Heute nicht“, stellte Herr Stein fest.
„Es täte mir sehr leid, wenn wir Sie vergebens herbemüht haben sollten“, meinte Frau Schmidt.
„Wir könnten Kaspar holen“, schlug Liane vor.
„Wer ist Kaspar?“ fragte Frau Stein.
„Unser Hund! Das heißt, eigentlich gehört er Peter, meinem Bruder“, erklärte Monika, „aber das ist ja egal. Hauptsache, er kann uns anzeigen, ob Amadeus da ist!“ Sie lief hinaus und kam gleich darauf mit Kaspar, den sie am Halsband führte, zurück.
Dem großen Hund sträubten sich die Haare, und er war nicht dazu zu bewegen, die Schwelle zu übertreten.
„Da habt ihr es! Amadeus ist da!“ rief Monika triumphierend.
„Wenn der Hund hier in diesem Raum schon einige...“, Herr Stein räusperte sich, „...ehem... unangenehme Erlebnisse gehabt hat, besagt sein Verhalten gar nichts.“
Monika ließ Kaspar laufen und setzte sich. „Wahrscheinlich haben Sie recht“, sagte sie enttäuscht.
„Ich glaube, Amadeus hat Angst!“ rief Liane. „Er hat Angst, daß Herr Stein ihn bannen könnte! Deshalb läßt er nichts von sich hören!“
Einen Augenblick schwiegen alle und warteten ab.
Nichts rührte sich.
„Du hast ihn beleidigt, Liane“, sagte Monika ganz erschüttert, „und trotzdem rührt er keinen Finger... jetzt verstehe ich die Welt nicht mehr!“
„Wenn Sie nicht hier wären, Herr Stein“, sagte Liane, „hätte er bestimmt einen riesigen Zirkus veranstaltet.“
„Sollten wir es nicht mal mit einer Geisterbeschimpfung versuchen?“ schlug Monika vor. „Wie ich ihn kenne, wird er nicht durchhalten.“
„Bärige Idee!“ stimmte Liane zu. „Also los... provozieren wir ihn! Du dämliches Gespenst!“
„Du, der du nichts als Unsinn im Kopf hast“...fügte Monika hinzu.
„...der du Tag und Nacht drauf aus bist, uns zu ärgern!“ rief Frau Schmidt.
„Du hast uns zwar zu dem Schatz geführt...“, sagte Herr Schmidt.
„...aber leiden können wir dich trotzdem nicht!“ rief Liane. „Nein, ganz und gar nicht.“
„Verschwinde, damit ich endlich wieder nachts durchschlafen kann!“ verlangte Monika.
„Wir wollen dich los sein!“ rief Frau Schmidt.
Nichts rührte sich.
Die Schmidts sahen sich an.
„Wir müssen es andersherum versuchen“, entschied Monika nach einigem Nachdenken. „Amadeus“, sagte sie dann in besorgtem Ton, „ich
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