Zwei Toechter auf Pump
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Es geht gegen Abend. Ich stehe auf der Landungsbrücke und schaue auf den See, der im Riesenrund der eisgepanzerten Berge liegt. Seltsamerweise hatte er an diesem Morgen, Ende Februar, unter dem warmen Blasen eines schweren Föhns, zu tauen begonnen. Risse laufen durch das Eis wie Gespenster. Wenn die Eisstückchen aneinanderstoßen, entsteht ein leises Klingeln, so, als wenn über den ganzen See hin Hunderte von Harfensaiten sanft angeschlagen würden.
Mein schönes, ruhiges Leben, das mich nun schon seit Jahren in diesem kleinen Dorf am Ufer des großen Sees umfängt; die Berge, der See, das Feuergewölk im Himmel — ich empfange den Eindruck letzter, größter Schönheit, die wie alles Große in ihrem innersten Kern erhabene Trauer trägt.
Wie das wohl sein wird, wenn mich meine Gefährtin morgen früh verläßt, tun auf vier Wochen nach St. Moritz zu fahren? Ich kann’s mir kaum vorstellen. Noch ruhiger jedenfalls, noch einsamer. Aber ich habe ja meine beiden Hunde, den Springercocker Cocki und den Drahthaarfoxl Weffi.
Cocki ist körperlich und seelisch etwas ungemein Massives mit schwerem Ohrgehänge, schwärmerischen Goldaugen, seidigem, braunweißem Fell und dicken Knudeltatzen. Er heißt auch der >Dicke< oder der >kleine Löwe< und huldigt der Weltanschauung, daß man am besten mit diesem Leben fertig wird, indem man sich aus Leibeskräften hineinschmeißt, — beißt, — schubst und — drängelt.
Drahthaarfoxl Weffi hat mit seinem Lebenskameraden nur eines gemeinsam — die Schönheit. In seinem Wesen ist er weder Cocki noch den eigenen Artgenossen ähnlich. Von den beiden anderen Foxln in meiner Bekanntschaft fraß der eine Klosettbrillen, und der andere ernährte sich vorwiegend von Äpfeln und Tomaten und sprang von fünf Meter hohen Felsen ins Meer. Weffi jedoch hat ein zu schwaches Herz mit auf die Welt bekommen. Das dämpft einerseits wohltuend sein Temperament, verlangsamt aber andererseits seine Gehirnfunktionen. Dadurch ist er von einer rührenden Kindlichkeit und immer um einige Minuten hinter der Situation zurück. Er bellt zum Beispiel immer etwas zu spät und auch nur, weil Cocki bellt, und außerdem nach der falschen Richtung. Dafür aber bellt er stets in der gleichen Tonhöhe: Wä — wä — wä (wovon sein Name Weffi stammt), und so lange, bis man ihn wie eine Flasche mit Hustenmedizin schüttelt.
Beide, Cocki und Weffi, sind schon ältere Herren, ohne daß man ihnen ihr Alter im geringsten ansieht. Als ich jetzt die Brücke verlasse, finde ich Cocki bis zum Bauch im Eiswasser stehen. Er gräbt nach irgend etwas. Ein paar Meter weiter hat Weffi die Überreste einer Krähe entdeckt und macht den Versuch, sich darin zu wälzen. Glücklicherweise klappt es mit dem Hinschmeißen nicht so richtig. Er kommt immer etwas daneben zu liegen. Ich gebe ihm einen Klaps und schiebe ihn in Richtung Heimat ab. Er wirft mir über die Achsel einen Blick stillen Vorwurfs zu, beginnt aber brav durch den Schnee zu stelzen. Den kleinen Löwen muß ich an den Hinterbeinen aus der aufgeweichten Eisbrühe ziehen. Er schüttelt sich, daß die Tropfen mir bis ins Gesicht fliegen, und schaukelt dann mißmutig Weffi nach.
Oben auf dem Hügel liegt das Dorf, das mir zur Heimat wurde. Seine Fensterscheiben flammen im Abendrot, und der spitze weiße Kirchturm steht über ihm wie eine Weltraumrakete. Am Fuß des Hügels, etwas abseits des Dorfes, sehe ich unsere beiden Häuschen, die schon im Schatten liegen.
Unsere beiden Häuschen. Das rechte (vom See aus) gehört mir und meiner Familie, bestehend aus Frauchen, der Mama — zweiundachtzig Jahre alt und rüstig wie ein Wiesel —, den beiden Herren da vor mir und meiner Wenigkeit. Das Nachbarhaus gehört meinem Freunde Teddy Bentler, seiner Frau Addi und ihren Töchtern Susanne, achtzehn, und Margot, siebzehn Jahre alt. Von Teddy wäre zu berichten, daß er ein schwerer blonder Kerl von fünfundvierzig Jahren und Generalvertreter für Waschmaschinen ist. Er hat ein brutales Bulldoggengesicht, erweist sich aber innerhalb seines Milieus als das gutmütigste und aufopferndste Schaf von Familienvater, das man sich vorstellen kann.
Seine Addi ist fünf Jahre jünger, ein rassiges, langbeiniges Geschöpf mit dunkelbraunem Haar, großen braunen Augen, tiefer Stimme und trockenem Humor.
Die kleine, zierliche Susanne, ihre älteste Tochter (wie gesagt, achtzehn Jahre alt), hat die Schlankheit und das schmale Gesicht der Mutter und die blauen Augen und das
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