Bleib ungezaehmt mein Herz
Laterne über der Tür warf so seltsame Schatten.«
Marcus saß ruhig da, ein erstarrtes Lächeln auf dem Gesicht, den Blick auf die Harfenistin gerichtet, als diese in die Saiten ihres Instruments griff. Er fühlte das Unheil mit Fangarmen nach ihm greifen, fühlte das Böse, das von dieser Frau neben ihm ausging und ein Netz um ihn herum zu spinnen schien. Judith hatte recht gehabt. Agnes Barret war gefährlich. Und wenn Agnes Barret Gracemeres Mätresse war, dann drohte Judith Gefahr. Wie oder aus welchem Grund, das hätte Marcus nicht sagen können. Er spürte es ganz einfach, war sich dessen so sicher wie seines eigenen Namens. In seiner Erinnerung sah er plötzlich wieder Marthas zerstörtes kleines Gesicht vor sich, hörte wieder ihr verzweifeltes Wimmern.
Er stand ohne ein Wort von seinem Platz auf und verließ den Raum, während die Harfenistin hinter ihm weiter ihre melodische Laute erklingen ließ.
Agnes blickte ihm verblüfft nach. Sie hatte bis jetzt nicht mehr getan, als das erste kleine Samenkorn ausgesät. Von Bernard hatte sie noch gar nichts erwähnt. Das würde morgen oder am darauffolgenden Tag geschehen; eine geflüsterte Bemerkung, um die Gerüchteküche anzuheizen. Was konnte den Marquis wohl veranlaßt haben, so überstürzt zu gehen?
Marcus verließ das Haus, ohne sich von seinen Gastgebern zu verabschieden, und ging mit schnellen Schritten zur Jermyn Street.
Einen Moment lang horchte Gracemere entsetzt und wie gelähmt auf die Geräusche heftigen Erbrechens hinter dem Wandschirm. Dann marschierte er zur Tür, riß sie auf und rief barsch nach Hilfe. Madame kam eilig die Treppe herauf, gefolgt von zwei ihrer Mädchen.
»Was ist denn passiert, Mylord?«
Er machte eine Handbewegung in den Raum. »Ihre Ladyschaft scheint sich unwohl zu fühlen. Tun Sie etwas.«
Madame lauschte einen kurzen Moment, warf ihm dann einen vielsagenden Blick zu und eilte ins Zimmer, hinter dem Wandschirm verschwindend.
Gracemere wanderte auf dem Korridor auf und ab, um nicht länger der Szene eines so schrecklich intimen Zusammenbruchs beiwohnen zu müssen. Er schlug sich mit der Faust in die Handfläche, verfluchte sämtliche Frauen. Es konnte nicht am Wein gelegen haben, Judith hatte nur ein Glas getrunken, und sie war vollkommen nüchtern gewesen, als sie angekommen waren.
Judith taumelte hinter dem Wandschirm hervor, gestützt von Madame und einer der beiden Frauen. Sie war wachsbleich im Gesicht, auf ihrer Stirn standen feine Schweißperlen, ihr Haar schien plötzlich glanzlos, ihre Augen wäßrig.
»Mylord, ich weiß nicht, was...« Sie preßte sich eine Hand vor den Mund. »Ich muß wohl irgend etwas gegessen haben, was mir nicht bekommen ist... wie peinlich... ich weiß gar nicht, wie ich mich entschuldigen soll...«
»Sie müssen nach Hause«, unterbrach er sie brüsk. »Die Kutsche wird Sie zurückbringen.«
Judith nickte kläglich. »Ja, danke. Ich muß mich hinlegen.« Sie schwankte auf den Diwan zu und legte sich mit geschlossenen Augen zurück.
Madame nahm Judiths Fächer und fächelte ihr heftig Kühlung zu. »Mylord, ich kann keine kranken Frauen in meinem Haus gebrauchen«, sagte sie mit einem scharfen Unterton. »Es macht keinen guten Eindruck. Und was meine anderen Gäste denken, falls sie das gehört haben ...«
»Ja, ja.« Bernard fiel ihr ungeduldig ins Wort. »Lassen Sie sie hinunterbringen und in die Kutsche setzen. Sagen Sie dem Kutscher, er soll sie zum Berkeley Square zurückbringen.«
Irgendwie gelang es den Frauen, die schwache und vor sich hin stöhnende Judith die Treppe hinunterzuschaffen und in die wartende Kutsche zu verfrachten. Bernard stand am Fenster und schaute zu, wie sich das Fahrzeug die Straße hinunterbewegte. Hier war irgendein Teufel am Werk, der all seine sorgfältig eingefädelten Pläne über den Haufen warf. Er ging zum Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen, füllte dann düster vor sich hin brütend sein Glas nach. Er konnte ebensogut das Dinner essen, das er mit soviel Sorgfalt ausgesucht hatte.
Marcus bog in die Jermyn Street ein. Er war selbst erstaunt über seine innere Ruhe, als er die Straße hinunterblickte. Drei Häuser hatten Laternen über der Haustür. Und er war sicher, hinter einer dieser Türen würde er seine Frau in Gesellschaft von Bernard Melville, Earl von Gracemere, vorfinden. Er hatte keine Ahnung, warum Judith dort war, was sie veranlaßt haben könnte, sich von Gracemere in die Falle locken zu lassen, aber die Gründe
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