Bleib ungezaehmt mein Herz
Der Marquis schalt sich selbst streng dafür, daß er schon beinahe wie sein Cousin klang und wie die Hälfte der jungen Soldaten, die stolz ihre Uniformen in den Salons von Brüssel zur Schau trugen, während die Welt darauf wartete, daß Napoleon seinen nächsten Schritt unternahm. Er hatte Judith Davenport nun schon mehrere Wochen dabei beobachtet, wie sie die Männer mit ihrem Zauber in ihren Bann zog, überzeugt, sie sei ein raffiniertes Biest mit klar umrissenen Zielen. Aber sosehr er sich auch anstrengte, er kam einfach nicht dahinter, worauf sie es angelegt hatte.
Sein Blick ruhte jetzt auf dem jungen Mann, der Charlie gegenübersaß. Sebastian Davenport war Bankhalter in dem Spiel. Auf seine eigene Weise ebenso attraktiv wie seine Schwester, saß er lässig in seinem Stuhl zurückgelehnt, und sowohl seine Kleidung als auch seine Haltung strahlten einstudierte Nonchalance aus. Er lachte über den Tisch hinweg und mischte dabei leicht die Karten in seinen Händen. Die Stimmung am Tisch war heiter und unbeschwert. Eine Stimmung, die die Davenports stets begleitete. Wahrscheinlich einer der Gründe, weshalb sie so beliebt waren... und dann plötzlich sah der Marquis es.
Es war die Bewegung ihres Fächers. Den lässigen Gesten lag ein bestimmtes Muster zugrunde. Manchmal beschleunigte sich die Bewegung, manchmal hielt sie abrupt inne, ein- oder zweimal klappte Judith den Fächer zusammen, um sich gleich darauf noch energischer mit dem kunstvoll bemalten Halbmond Luft zuzufächeln. Wieder erscholl Gelächter am Tisch, und mit einem trägen Schwung seiner Harke zog Sebastian Davenport den Stapel von Schuldscheinen und Jetons in der Mitte des Tisches zu sich herüber.
Der Marquis eilte durch den Raum. Als er am Spieltisch stehenblieb, blickte Charlie mit reumütigem Grinsen zu ihm auf. »Heute ist nicht mein Abend, Marcus.«
»Das ist er selten«, erwiderte Carrington und nahm eine Prise Schnupftabak. »Paß auf, daß du dich nicht in Schulden stürzt.« Charlie hörte die Warnung hinter dem Ratschlag, obwohl die Stimme seines Cousins beiläufig klang. Eine leichte Röte überzog die Wangenknochen des jungen Mannes, und er schlug die Augen nieder und starrte wieder auf seine Karten. Marcus war sein Vormund und neigte dazu, wenig Mitgefühl zu zeigen, wenn Charlies Spielschulden sein vierteljährliches Unterhaltsgeld überstiegen.
»Möchten Sie nicht mitspielen, Lord Carrington?« Judith Davenports sanfte Stimme ertönte hinter dem Marquis, und er wandte sich zu ihr um. Sie lächelte, ihre goldbraunen Augen funkelten verführerisch, umrahmt von den dichtesten, schwungvollsten Wimpern, die er je gesehen hatte. Nachdem es ihm jedoch die letzten zehn Jahre erfolgreich gelungen war, den oft geradezu unverfrorenen Schmeicheleien von Mädchen auf der Suche nach einem reichen Ehemann zu entgehen, war er gegen die Überredungskünste eines schönen Augenpaares inzwischen abgehärtet.
»Nein. Ich fürchte, es würde auch nicht mein Abend sein, Miss Davenport. Darf ich Sie ins Speisezimmer begleiten? Es muß Sie doch allmählich langweilen, meinem Cousin dabei zuzuschauen, wie er ununterbrochen verliert.« Er verbeugte sich leicht und nahm ihren Ellenbogen, ohne eine Erwiderung abzuwarten.
Judith versteifte sich, als sie den Druck seiner Hand auf ihrem nackten Arm spürte. In seinen Augen lag eine Härte, die der Festigkeit seines Griffs entsprach, und ihre Kopfhaut zog sich zusammen, als ihr ein Schauer leichten Unbehagens über die Haut lief. »Im Gegenteil, Mylord. Ich finde das Spiel ausgesprochen unterhaltsam.« Sie machte einen verstohlenen Versuch, ihren Arm zurückzuziehen. Seine Hand schloß sich augenblicklich fester um ihren Ellenbogen.
»Aber ich bestehe darauf, Miss Davenport. Ein Glas Sherry wird Ihnen sicherlich guttun.«
Er hatte sehr dunkle Augen, die ein höchst unerfreuliches Glitzern bargen, ebenso hartnäckig wie sein Tonfall und seine Worte, die den Zuhörer auch gegen seinen Willen zwangen, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Judith sah leider keine Möglichkeit, sich elegant und diskret aus der Affäre zu ziehen. Sie lachte hell. »Sie haben mich überzeugt, Sir. Aber ich ziehe ein Glas Champagner vor.«
»Kein Problem.« Er zog ihren Arm in seinen und legte seine freie Hand auf ihre, die auf seinem schwarzen Seidenärmel lag. Judith fühlte sich wie in Ketten gelegt.
Sie durchquerten das Kartenzimmer in einem Schweigen, das ebenso unbehaglich wie bedeutungsschwer war. Ob er erraten hatte, was
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