Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
in vier Wochen kommt. Aber drängen will ich Dich nicht, der Gedanke ist mir nicht angenehm, daß auch Du evtl. wie Heinz durch einen Fluß waten mußt. Manchmal sind auch jetzt die Grenzen offen. Vergangene Woche kamen zwei Frauen aus Chemnitz (waren Vater bekannt), die beide ihre Männer bei Hannover besucht hatten. Sie waren auch richtig über die Grenze gekommen. Du, die eine hatte in den sieben Wochen, die sie dort waren, 19 Pfund zugenommen. Das ist zwar nicht mein Ideal, aber doch konnte einem das Wasser im Munde zusammenlaufen, wenn man hörte, was es drüben alles zu essen gibt. Wenn Du im Februar nur auf Urlaub kommst und wieder zurück mußt, fahre ich mit Dir 14 Tage mit. Kümmere Dich jetzt schon um ein Quartier für mich. Sag mal, weißt Du nicht, wer dort gegen Kindersachen (Schuhe usw.) Lebensmittel tauscht? Evtl. auch vier Meter Kleiderstoff. Die Haussuchung hat bei uns nicht stattgefunden. Unser Haus ist vielleicht als antifaschistisches Haus bekannt. Du bist im Irrtum, wenn Du glaubst, daß ‘Hans Wundersam’ langsam verschwindet. Es ist nach wie vor ihr Lieblingsbuch (meins war es ja auch) und bist Du kein guter Vater, wenn Du ihr das nicht immer wieder vorlesen willst. Ich habe Dir doch auch schon paar mal geschrieben daß ich für die englischen Zigaretten Abnehmer finde, das Stück zu 4.50 M. Ich hatte schon geglaubt, der Vater des Röthaer Kameraden hätte welche mitgebracht. Jedes Quantum kannst Du besorgen, evtl. was eingeschrieben schicken. Ein Abnehmer ist schon da. Das Radio habe ich immer noch nicht zurück, und ist das wirklich ein Elend. Mit der Holzsägerei hast Du wirklich Pech gehabt, das bringt es gerade ein, daß Du aus Deiner Tasche noch Deine Helfer bezahlst. Heidis Husten ist nun endlich ganz weg, aber evtl. muß ich diese Woche mit Heidi zur Typhusimpfung. Mutti ist schon einmal gewesen. Heinzens Pech habe ich erst gestern durchErika erfahren. Um den Füller tut es mir sehr leid. Erika läßt Dich fragen, ob Du nicht für Heinz auch einen Füller bestellen kannst, denn er hat ja auch keinen mehr. Dein kultureller Schritt vorwärts ist ja wirklich enorm, sag mal, aus was habt Ihr denn bis jetzt gegessen und getrunken? Am Donnerstag gehe ich mit den Eltern und Erika ins Schauspiel. Der Central Theater Festsaal ist dafür ausgebaut. Soll sehr schön sein, aber wahnsinnig teuer. Sieben Mark haben wir für eine Karte bezahlt, und ist noch nicht mal der teuerste Platz. Gespielt wird der ‘Sommernachtstraum’ und freue ich mich schon sehr darauf. Diese Woche kann ich auch meinen neuen Hut holen, so dass man dann wenigstens wie ein anständiger Mensch gehen kann.
Ich denke so oft an Dich. kleiner Mann, so daß Du eigentlich immerzu Ohrenklingen haben mußt. Ein Jahr haben wir uns bald nicht gesehen. Was haben wir überhaupt von unserer bald neunjährigen Ehe gehabt? Sechs Jahre Krieg! Weißt Du, immer wenn ich zu Mutti rausfahre und am Hauptbahnhof vorbeifahre, schaue ich immer ganz angestrengt, und denke Du müßtest an der Haltestelle stehen. Überhaupt male ich mir Deine Heimkehr in allen Farben aus, und wird doch meist ganz anders, als man denkt. Jetzt fange ich an von unten herauf kalt zu werden, und habe schon die langen Hosen an, obendrein ist Schlafenszeit, und deshalb will ich auch meinen Brief beenden.
Bleib Du recht gesund kleiner Mann, und nimm viele liebe Grüße und Süße
von Deiner Leni und dem Kerlchen.
Einen Feuerstein habe ich für Dich. Sonst gibt es keine mehr.
Brieffragment von Leni
... Ich habe immer so wenig Zeit, und dabei zu Hause eine Unmenge Ausbesserwäsche liegen. Wenn dann das Frühjahr kommt, geht die Arbeit im Garten wieder los, aber jetzt ist man ja noch auf das Gemüse angewiesen, was man selbst baut. Später wenn es mal besser werden sollte mit der Ernährung, hört das auch auf. Oder fährst Du hamstern und organisieren? Du hast doch eigentlich die Kurve raus.
Somit ist alles aus Deinem Brief beantwortet, und will nun auch aufhören und ins Bett gehen, sonst esse ich noch mal was, und das kann ich nicht verantworten. Vorgestern Nacht mußte ich sogar mal aufstehen und mir was zu essen holen, weil ich absolut vor Hunger nicht einschlafen konnte.
Und nun, kleiner Mann, nimm für heute wieder viele liebe Grüße und Süße und komm bald zu Deiner
Lenifrau und dem Kerlchen.
Was sagst Du zu dem 2. Brief?
Leipzig, den 27.1. 1946
Mein lieber alter Strolch!
Seit zehn Tagen warte ich nun schon auf einen Brief von
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