Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
nach Hause dürfen wegen Seuchengefahr 14 Tage in Quarantäne. Am Mittwoch gehe ich mit Heidi zu Frau Dr. Weise impfen. Mir graut vor den Nachwirkungen, denn es reißt alle ganz schön hin. Dreimal werden wir geimpft, und wer nicht geht, bekommt keine Lebensmittelkarten.
Kleiner Mann ich will nun für heute aufhören, mir sterben schon wieder meine Beine vor Kälte ab, und dabei ist es warm im Zimmer, aber die Kälte kommt von unten hoch. Hoffentlich kommt morgen ein Brief, ich schreibe Dir dann bald wieder, und grüße Dich bis dahin herzlichst, und auch viele Süße von mir und dem Kerlchen
Deine Leni.
Viele Grüße von allen.
Leipzig, den 29.1. 1946
Mein lieber kleiner Mann!
Deinen lieben Brief vom 20.1. bekam ich nun heute nach langem Warten, und danke ich Dir recht herzlich dafür. Ich will ihn heute nicht beantworten, dafür fehlt mir heute zu sehr die innere Ruhe. Ich hatte Dir doch schon im letzten Brief geschrieben daß es meinem Vater gar nicht gut geht, und hat es sich nun dermaßen verschlimmert, daß er fest im Bett liegt und nicht mehr aufstehen kann. Seit Sonntag hat er überhaupt nicht gegessen. Mutti war gestern mit seinem Wasser bei einem bekannten Naturheilpraktiker und hat der Mutti gleich ins Gesicht gesagt daß Papa Krebs hat und auch ein schwaches Herz. Ja keine Leibumschläge, da sonst Magenbluten sich einstellen könnte, und als Mutti nach Haus kam, war das Magenbluten bereits da, und brach immer wieder Blut, trotzdem er nichts zu sich nahm. Es dreht Dir das Herz um, wenn Du zusehen mußt, was er für Schmerzen hat und wie er sich quält, und Du kannst doch nichts helfen. Heute Mittag war ein junger Arzt da, der aber meiner Ansicht nach gar nichts versteht und auch noch keine eigene Praxis hat, dann haben wir einen anderen bekannten Arzt angerufen, der ... noch heut abend oder morgen kommen will. Die einzige Hilfe, die für Papa noch da ist, wäre eine Operation. Ob sie glückt, ist fraglich, aber doch die einzige letzte Möglichkeit. Ich habe nur Befürchtungen, daß es auch dazu zu spät ist. Aber noch besser er schläft unter dem Messer ein, als daß er so unter qualvollen Leiden verhungert, denn er kann nicht mal eine Suppe essen. Er selbst weiß es auch, und gibt sofort seine Einwilligung zum Eingriff. Wir rechnen morgen oder übermorgen ihn ins Krankenhaus zu bringen, und dann können wir nur hoffen. Kleiner Mann, ewig können wir unsere Eltern ja nicht behalten, das ist der Lauf der Welt, aber einen ruhigen Lebensabend haben sie doch verdient. Heute Nachmittag waren wir alle draußen, Lisa und ich schon früh. Lisa hat es furchtbar getroffen, denn sie hängt mit ganzem Herzen an meinem Vater, und umgekehrt ist es ja auch der Fall. Morgen früh gehen Heidi und ich zu Frau Dr. Weise impfen, und dann fahre ich gleich wieder raus. Lisa will Papa privat legen lassen, sie will alles bezahlen, ihr wäre es gleich, ob der Laden so oder so kaputt geht. Martin ist auch zu unverschämt, doch davon will ich Dir heute nicht berichten, vielleicht später mal, oder Du kannst Dich auch bald selbst überzeugen. Vielen Dank auch für die beiden Stäbchen, kleiner Mann, die eine Zigarette die ich schon beim Lesen Deines lieben Briefes geraucht habe, war mir wie Medizin, denn mir sitzt es wie ein Kloß in der Kehle, der nicht runter rutscht noch heraus will.
Du bist mir nicht böse wenn ich schon aufhöre kleiner Mann, aber sobald als möglich schreib ich Dir wieder und beantworte Dir auch Deinen Brief, was zu beantworten ist. Nur das eine, ich kann immer noch nicht glauben, daß die Russen wirklich unser Gebiet verlassen, es sieht jedenfalls gar nicht so aus.
Und nun bleib gesund und behalt uns lieb, und nimm viele liebe Grüße und Süße
von Deiner Leni und dem Kerlchen.
Nr. 4Nienburg, den 30.1. 46
Meine liebe kleine Lenifrau!
Recht vielen Dank für Deine lieben Zeilen vom 15.1., die ich gestern vorfand, als ich von Bremen zurückkam.Mir geht es auch immer so, wenn ich mal von Heinz, Hannover oder sonst wo herkomme, finde ich bei meiner Rückkehr Post vor, was immer mehr als nett ist und ist die Freude dann bei mir sehr gross. Von Mutter bekam ich heute zwei Einschreibebriefe, die ich auch noch heute beantworten will. Ebenfalls will ich noch an Heinz schreiben, dass er mir für den Fall, dass ich zum 20. nicht mit meinen Militärklamotten kommen kann, er mir paar Zivilsachen besorgt. Aber jetzt ist es Nachmittag und so noch viel Zeit zum Schreiben. Am Abend
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