Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
1943
1) ... mir fehlt die Wissenschaft doch sehr: Christliche Wissenschaft ist der Name für die von Mary Baker Eddy begründete weltweite Glaubensgemeinschaft, im Nationalsozialismus seit 1937 verboten und mit hohen Strafen belegt, ebenso wie später in der DDR
2) Großangriff am 4. Dezember auf das gesamte Stadtgebiet, vor allem war die Innenstadt schwer betroffen; mit Flächenbränden und Feuerstürmen. Durch diese ausgebrochenen Brände wurden etwa 13500 Gebäude zerstört und über 32000 Wohnungen vernichtet. Nach offiziellen Angaben gab es 1815 Tote, 806 Schwerverletzte, 3749 Leichtverletzte, 60 Vermisste und 175 Personen, die nicht mehr identifizierbar waren. Ungefähr 140000 Menschen wurden als Bombengeschädigte erfasst und über 100000 Einwohner nach dem Angriff evakuiert. (siehe auch ‘Leipzig brennt’ vom Lehmstedt Verlag)
Das Haus Nürnberger Straße 50 wurde ebenfalls total zerstört. Helene und Emil Jentzsch verloren ihr Zuhause.
2
1944
Leni Helm an Hans Helm / Hans Helm an Leni Helm
Leipzig, den 1.1. 1944
Mein lieber alter Strolch!
Jetzt wirst Du nun wohl wieder in der alten Umgebung sitzen und voller Sehnsucht an daheim denken. Wir wollen nicht undankbar sein, und in der nächsten Zeit an die zweieinhalb schönen Wochen denken die hinter uns liegen, wenn auch mancher Tag durch Wege und Rennerei draufgegangen ist. Wie lange hast Du armer Kerl denn noch auf dem Bahnhof warten müssen, und wie bist Du denn mit Deinem großen Gepäck mit weggekommen? Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht, dass ich gerückt war, denn es war bei uns in der Nacht alles ruhig. Du wirst mir schon gleich schreiben, wie die Fahrt war, und auch ob Ihr was Feuchtes bekommen habt. Wir sind wohlbehalten hier wieder eingetrudelt, und bin ich gleich erst mal zu Lehmanns und noch mal versucht bei Kunads anzurufen. Leider erfolglos. Später kam Frau Kürbis und haben wir uns einen Grog gebraut. Dann sind wir drei, Mutter, Frau Kürbis und ich zu Lehmanns runter und haben ihnen einen Grog spendiert, worüber sie sich wirklich sehr gefreut haben. Über eine Stunde haben wir unten geklöhnt und sind dann ½ 11 Uhr wieder hoch. Um 12 Uhr sind dann alle meine Gedanken und Wünsche in die Ferne gegangen, zuerst zu Dir kleiner Strolch, und hoffe ich, dass das neue Jahr Dir und uns allen 366 gute Tage bringen möge. Dann gingen meine Gedanken noch zu Mutti und Papa, Lisa und Erika, und dann auch noch zu Elli mit, denn in den Minuten sind wir alle im Geiste vereint. Ernst und gefasst haben wir nun also das neue Jahr angefangen, möge es uns vor allzu Schrecklichem bewahren. Heute war ich am Nachmittag mal bei Kunads, habe aber niemanden angetroffen. Lisa und Martin waren im Kino, und Mutti und Papa noch nicht da. Mutti hatte einen Brief geschrieben, der ziemlich verworren gewesen sein soll. Erst schreibt sie, wollen sie bis Januar, Februar dort bleiben, dann wieder daß sie Sylvester, Neujahr hier sein wollen, dann wieder daß sie sich dort nach was umsehen wollen. Es sollen sehr viel Kassler und Hamburger dort sein, und die Leipziger wären auf den Böden untergebracht. Sie schrieben, dass sie hier niemand zur Last fallen wollten. Kaputt könntest Du Dich sorgen. Vielleicht fahre ich früh mal hin, und am Nachmittag zurück.
Ja mein Strolch, nun bin ich wieder allein mit unserem Kerlchen und komme ich mir so verlassen und allein vor, und habe so Sehnsucht nach Dir. Ja, für heute will ich nun mal wieder schließen. Wir haben heute schon den ganzen Tag einen ganz schrecklichen Schneesturm. Bleib uns gesund und behalt uns lieb und nimm 1000 liebe Grüße von uns allen, und einen Kuß
von Deiner Leni und Heidi.
Heidi hat Dich heute vergeblich gerufen. Früh im Bett ging’s los “Vati – lulul”.
O.U., den 2.1. 44
Meine liebe kleine Lenifrau!
Zuerst möchte ich Dir nochmals alles Gute zum neuen Jahr wünschen und möge nun 1944 das eintreffen, auf das wir alle warten, nämlich Friede und Ruhe, ferner wünsche ich Dir recht gute Gesundheit und das Gleiche dem Heidikind und mir eine baldige Heimkehr. Ich hoffe, daß Du und Vater gut nach Hause gekommen seid und Du noch einen warmen Grog getrunken hast, denn bei dem Wetter ist das die beste Fürsorge gegen Grippe. Vielleicht bist Du doch um 12 Uhr noch wach gewesen, denn da habe ich an Dich und Euch alle gedacht. Auf dem Bahnsteig haben wir treu und brav weiter gewartet und war es glücklich 9 Uhr geworden, als durch den Lautsprecher bekannt gegeben
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