Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
hat man obendrein noch mehr Lauferei, sorgt für mehr Wasser und Sand, schafft etwas Fressalien nach dem Keller und etwas zu trinken. Einen Rucksack habe ich mir gepackt mit allerlei notwendigem Krimskrams oder Kleinstigkeiten um im Falle der Gefahr denselben dann doch stehen zu lassen. Was wissen wir? Und es ist gut, dass wir es nicht wissen. Die Sache sieht hinterher doch schlimmer aus, als man vorher annahm. Es ist mir gut gewesen, dass die Flieger zersprengt wurden, denn sonst wäre es ganz traurig geworden. Eine Unmenge Blindgänger liegen herum, gut für uns, beschämend für die Engländer. Die müssen doch oben um ....(?) eingeflogen sein, dort ist das Sächsische Haus, der ...(?), Hochschule f. ...(?) Fischstraße, Sophienstraße, Elsterstraße, Sidonienstraße, Metzker und Wittig am Bayrischen Bahnhof, letzterer hatte auch einen Christbaum, wenn Breitkopf und Härtel noch Flak oben hatte, waren wir evtl. auch mit dran, dann Volckmar... das Haus...(?) ist bis zum zweiten Stock niedergebrannt, vier Wohnhäuser sind geräumt, dann Reclam, J. G. Weber, Konitsch, es ist das graphische Gewerbe bedacht worden. Auch in Stötteritz sieht es schlimm aus, dann kamen Brandis, Machern, Lübschütz, Wurzen, Borsdorf usw. Ich glaube wenn das alles nach Leipzig gekommen wäre, wer weiß, ob wir noch wären. Doch genug davon. Sag mal! Kommst Du Weihnachten auf Urlaub, Dich an Deiner Heidi zu erfreuen, sieh doch einmal zu. Du kannst doch Weihnachten auch mal daheim sein, dann bekommst Du doch auch 50 Gramm Bohnenkaffee, das ist doch nicht zu verachten. Melde Dich nur beizeiten. Ich glaube, Leni würde sich sehr freuen, Deine Mutter auch und ich auch ein klein wenig.
Wir haben heute im Garten Obstbäumchen gepflanzt und Rosen. Wenn Du da bist und es ist kein Schnee, kannst Du mal Sand für Heidi hinterkarren, mit Deinen langen Beinen bist Du schneller hinten wie ich.
Für die Butter hab vielen Dank, sie schmeckt recht gut und könnte man sie gleich so rein essen. Vielleicht gibt es bald mal Karpfen, den man noch mit Butter essen kann. Jetzt läßt man bloß immer am Abend das Radio laufen um zu wissen, wenn es ausbleibt, Vorbereitungen zu treffen, indem man alles an die Korridortür stellt um hintereinander das Nötigste nach dem Keller zu bringen. Es ist das ein scheußliches Gefühl. Leni kocht jetzt wohl Rübenschnitzel ein, damit Du was zu schleckern hast, wenn Du kommst. Gretel hat jetzt noch ein paarmal geschrieben, aber nichts weiter von Belang. Von Erika haben wir auch mal seit längerer Zeit wieder Post bekommen. Es ist dort eine unheimliche Teuerung. Sie braucht so notwendig einen Wintermantel, der kostet dort über 1000 Pengö und hier gibt es auch nichts mehr. Es tut mir so leid und kann ich doch nicht helfen. Sie sieht so schmal auf dem Bildchen aus, das sie mit Uli drauf uns zuschickte.
Sonst ist hier alles beim Alten, arbeiten und nicht verzweifeln. Die Männer lamentieren alle durch die Bank ums Rauchen, aller zehn Tage bekommt man einen ganz traurigen Stumpen. Ich habe schon Backpflaumen für den Meester parat gestellt, es ist doch traurig. Da wird natürlich auch keine Zigarette mehr für Dich und das tut mir sehr leid, aber man kann nichts dagegen machen.
Nun laß es Dir gut gehen und verbleiben wir mit den herzlichsten Grüßen auch vom
Vater und mir
Leipzig, d. 23.11. (1943)
Lieber Hans!
Recht vielen Dank für Deinen lieben Geburtstagsbrief. Er kam in diesem Jahre ganz pünktlich an mit vieler Post zugleich. Gäste hatte ich keine außer den Kindern und Heidi.
Es geht niemand mehr gern weg, zumal in dieser Zeit die Tage sehr kurz sind. Es macht alles keine Freude mehr, das ganze Leben. Die viele Arbeit und man weiß wirklich nicht für was und wen. Und doch muß man arbeiten um zu leben. Gestern wieder zwei Stunden im Keller gesessen. Armes Berlin! Und eines Tages sind wir dran. Mir tut jedesmal Leni leid, wenn sie den kleine Kerl aus dem Schlaf reißen muß und in den Keller möchte man schon gehen seit dem letzten Mal. Mit einem komischen Gefühl setzt man sich an den Abendbrottisch. Man dreht das Radio an, nur um zu wissen, wenn der Sender ausbleibt. Und das machen sie jetzt alle so. Das stärkt natürlich unsere Nerven nicht. Man lebt von einem Tag zum anderen. Jetzt essen wir, wir heben nichts mehr auf.
Vielen Dank auch für die Butter. Nun können wir etwas Stolle backen. Sie werden teuer, aber das ist egal. Hoffentlich kommst Du Weihnachten. Du wirst viel Freude haben an
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