Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
aber nun, dass der heutige in Ordnung geht, allerdings mündlich wäre vielleicht alles doch besser zu klären, aber bis zum nächsten Urlaub muss doch alles wieder gut sein, denn eins, kleine Frau, steht für mich felsenfest, ich hab Dich lieb und brauche Dich, und gehörst Du zu mir wie ich hoffentlich immer noch zu Dir. Es ist nun in den letzten drei Jahren seitens meiner Familie allerhand auf mich eingestürzt, was durch das Fortsein durch den Krieg mich nach und nach etwas zermürbt hat und ich will ganz offen zu Dir sprechen, so widerstandsfähig bin ich seelisch auch nicht mehr, denn die Sorgen um Vater, als es seinerzeit so schlimm mit ihm war, dann früher mit Elli die Aufregungen, dann Mutters Zustand, na, Du weisst es ja am besten, wie es bei uns hergegangen ist, dann die Sorge um Dich und Heidi, die Schicksalsschläge bei Deinen Eltern, überall habe ich versucht, durch gut zureden und Optimismus zu helfen, denn andere Hilfe kann man ja nicht leisten. Dabei hat man hier Kameraden, mit denen man sich auch nicht aussprechen kann und schliesslich frisst man alles in sich hinein und gerade, als seinerzeit das Telegramm von zu Hause kam, habe ich an mir festgestellt, dass es nun an der Zeit ist, dass man mal Ruhe bekommt. Dazu habe ich noch meine eigenen Nöte, mit denen ich mich herumschlage, aber darauf komme ich noch zu sprechen. Ich will Dir damit nichts vorjammern oder angeben, auch brauchst Du Dir damit nun keine Sorgen zu machen um mich, sondern ich will nur einmal ganz offen mit Dir reden und so schreiben, wie es tatsächlich ist. Du sollst in Zukunft mir auch wieder alles schreiben, denn gegen das Schicksal kannst Du auch nichts tun und wenn ich merken würde, dass Du etwas verschweigst oder schönfärbst, würde ich mir noch mehr Sorgen machen.
Was Du über Dein Kommen von Oschatz nach Leipzig anlässlich meines Besuchs schreibst, ist richtig, aber wenn man sich mal was in den Kopf gesetzt hat, dann betrachtet man es nicht objektiv, sondern subjektiv. Dass ich mit Mutter auf den Bahnhof gekommen bin, hatte seinen Grund darin, dass ich sie mit an die frische Luft nehmen wollte, denn sie war vollständig fertig, als sie sich mit mir ausgesprochen hatte und dann freute sie sich auf Dein Kommen, denn sie hat Dich doch bestimmt auch lieb und will ja immer nur unser Gutes. Es tut mir aber sehr leid, und ich habe es ja auch gemerkt, dass Du Dich zurückgesetzt gefühlt hast, aber dass Du Dich überflüssig fühltest, dazu war nicht ganz der Grund vorhanden. Sieh mal, Du schreibst es ja auch, dass ich hauptsächlich wegen Mutter gekommen bin, aber erst habe ich gehofft, Dich auch gleich zu Hause vorzufinden, als das nicht der Fall war, habe ich gleich in Oschatz angerufen, damit ich Dich um mich weiss, obwohl ich wusste, dass ich mich nicht viel um Dich kümmern konnte. Aber nicht nur als Bettgenossin, ein hartes Wort, daran habe ich bestimmt nicht gedacht, obwohl ich in dieser Beziehung in letzter Zeit meine Not mit mir selber habe und auch das müssen wir miteinander offen besprechen. Ich bin jetzt auf dem Punkt angelangt, bei dem Du Dir vielleicht als Bettgenossin vorkommen könntest, denn mein Geschlechtstrieb ist jetzt so, dass ich darüber bei Dir jede Beherrschung verlieren könnte. Die Menschen sind ja nun in ihrem Temperament verschieden, ich nehme an, dass Du etwas kühler bist als ich, denn in unserer Ehe ist es wohl noch nicht vorgekommen, dass Du einmal zu mir gekommen bist und gesagt hast: Du, komm zu mir, ich warte darauf. Nun ist es durch das getrennt leben so weit gekommen, dass ich Dir so erscheine, als wäre ich nur darauf aus, Dich körperlich zu besitzen. Ueber eins aber kannst Du wirklich unbesorgt sein, Du brauchst nicht zu sorgen, dass ich mich mit fremden Frauen abgebe, dazu habe ich Dich und Heidi viel zu viel lieb, aber helfen und verstehen musst Du mich, wie Du das fertigbringst, das muss ich Dir selbst überlassen. – Es ist bitter, erfahren zu müssen, dass Du glaubst, an mir nicht mehr den Halt zu haben, der ich Dir sein wollte, andererseits ist es für mich schwer, von hier aus Entscheidungen zu treffen und Dir zu diesem oder jenem zu raten. Ich hatte Dir schon öfters geschrieben, dass ich erst froh wäre, wenn ich Dich in Mühlhausen wüsste, denn ob Leipzig, Oschatz oder Bad Elster, die Lage ist nun einmal so, dass man auch in den kleinsten Städten nicht sicher ist. Dass Du am 14. wieder nach Leipzig zurück willst, überrascht mich, denn ich habe fest angenommen, dass
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