Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
Viel ist es, was unsere Eltern in ihrem Alter noch so durchmachen müssen, und wird es uns alle Jahre unseres Lebens kosten. Die Hauptsache aber, wir überstehen diesen Krieg und können gesund in unser Heim zurückkehren. Da geht es nun bei Euch jetzt also auch hart zu, kleiner Mann, sei mir nicht mehr leichtsinnig und bringe Dich rechtzeitig in Sicherheit. Aber ja nicht in die Splittergräben, denn die haben die Tommys bei den Erlawerken im Tiefflug ganz schön zugedeckt, und haben die dort über 1000 Tote. Wir müssen uns erhalten bleiben, denn was sollten Heidi und ich ohne unseren Vati anfangen? Frau Dr. Weise ist glaube ich das zweitemal ausgebombt. Genaues weiß ich noch nicht, aber mir würde es schrecklich leid tun. Papa ist heute nach Leipzig gefahren und dann nach Hohenmölsen, da kann ich mal wieder für mich allein schlafen und hat man da eine bessere Ruhe. Am Freitag fährt dann Mutti mit, denn Lisa hat ja am 3.3. Geburtstag. Onkel Hans fährt auch mal mit, damit er sich mal die Zerstörungen ansehen kann. Am Montag fahre ich dann heim, denn bei uns ist große Wäsche. Die knappe Woche wird wohl dabei draufgehen. Für Mutter ist das wieder mal was anderes und kann sie doch da wenigstens mal reden. Hoffentlich haben wir Licht, denn mit der Petroleumlampe ist es eine ewige Funzelei. Sag mal, hast Du denn nun eigentlich schon mein Päckchen bekommen? Das dauert ja mal wieder ewig. Am Montag war Lisa hier und haben wir Papas Geburtstag ganz gut überstanden. Von mir und Lisa je ein Buch (hat Lisa besorgt), von Mutti ein Schlips, von Mutter sechs Zigarren, von Dir Tabak (habe ihn hergelegt), Tante Emma zwei Eier, Äpfel und Kuchen. Also doch ganz friedensmäßig. Lisa ist bald immerzu unterwegs, und hat für Mutti und Papa in Bezug auf Sachen schon sehr viel herausgeholt. Sie hätten das nie bekommen, wenn Lisa nicht so ackern würde, denn wir anderen haben dazu auch nicht das Geschick. Bekommst Du denn nun wieder die L.N.N.? Stehen jetzt wieder sehr viel Tote von den Terrorangriffen drin.
Unserem kleinen Kerlchen geht es gut. Sie will immer von ‘Vati - Schoko’ haben, und hast Du ihr wirklich eine riesengroße Freude damit gemacht. Weißt Du ihre neueste Errungenschaft? Wenn man sie fragt, wo denn der Vati sei, sagt sie: “In Holland”. Ich habe ihr das nur einmal gesagt, und schon behält sie es.Siegrid erzählt nämlich immer, daß ihr Vati in Rußland sei, und da sagte Heidi eben auch: “Vati in Rußland”. Daraufhin habe ich es ihr verbessert. Gestern abend surrte ein Auto vorbei, und es klang wirklich so, daß ich einen Moment stutzte. Ertönt die Stimme Deiner Tochter: “Mutti - Auto - nicht Larm” (Alarm). Mutti hat Dir vor ungefähr drei Wochen auch einen Brief geschrieben und dabei sehr viel über Heidi erzählt. Hast Du den Brief eigentlich bekommen, weil Du ihn gar nicht erwähnt hast. Gestern Abend war ich mal wieder im Kino, ‘Tonelli’. Ich bin nur gegangen weil er Dir seinerzeit so gut gefallen hat. Ich fand ihn auch ganz wunderbar, war aber sehr aufregend, und man von Anfang bis Ende in Spannung. Heute habe ich mir hier zwei Heftchen ‘Mein Eigentum’ gekauft. Heute Abend werde ich anfangen mit eintragen, und wenn ich es fertig habe, Dir eins hinschicken. Es ist immerhin besser, wenn auch Du sowas in Händen hast. Findest Du nicht auch?
Nun ist inzwischen Heidi wieder munter geworden und schaut sich auf dem Sofa Bilderbücher an. Nun muß ich sie aber anziehen. Wir haben jetzt sehr viel Spaß miteinander, sie ist doch ein richtiger kleiner Schelm. Erst will ich ihr ein Kussel geben, da will sie nicht (‘nein-nein’), dann will mir Heidi ein Kussel geben, und dann will ich nicht. Und schließlich versöhnen wir uns und geben uns einen lauten Kuß.
Für heute nun Schluß kleiner Mann, bleib gesund und behalt uns lieb und nimm 1000 liebe Grüße und Süße
von Deiner Leni und Heidikind.
Viele Grüße von Mutti und Papa.
Papa hat sich sehr über Deinen Brief gefreut.
O.U., den 10.3. 44
Meine liebe kleine Lenifrau!
Es hat doch nicht geklappt, dass ich Dir sofort nach meiner Ankunft schreiben konnte, da wieder allerhand dazwischen kam. Zunächst aber kann ich Dir schreiben, dass ich fahrplanmässig gestern ¾ 11 Uhr in Arnheim ankam. Bis Halle war es unverschämt kalt, aber dann habe ich dank des Eckplatzes, Mutters Glühwein und Deiner guten Verpflegung die Fahrerei gut überstanden. In Leipzig habe ich noch lange gewunken, aber gesehen habe ich Dich da nicht
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