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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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öffne das Fenster, brauche Luft. Ich trete auf die Terrasse hinaus und stütze mich auf die Brüstung. Gebannt schaue ich einer alten Frau beim Wäscheaufhängen zu. Der Korb auf dem Boden, der weiße Ständer, der sich mit bunten Wäschestücken füllt. Sie sieht ein bisschen aus wie meine Mutter, wenn sie so alt geworden wäre.
    Ich sehe ihr zu, bis sie fertig ist. Als sie hineingeht, bemerkt sie mich und winkt mir lächelnd zu. Ich antworte mit einer kleinen Verbeugung. Ich komme mir blöd und einsam vor. Verrannt in den Kampf gegen eine riesige Windmühle, die mich früher oder später erschlagen wird.
    Ich gehe wieder hinein. Setze mich vor meinen Monitor, die Dateien mit meinen Aufzeichnungen offen auf dem Bildschirm.
    Wir haben es wachen Auges kommen sehen. Wir haben es kommen sehen und nichts dagegen unternommen. Ich genauso wenig wie all die anderen.
    Strafmilderung oder Straffreiheit bei Finanzvergehen, die Möglichkeit, nach Belieben mit Geschäftsbüchern, Bilanzenund gefälschten Zahlen zu jonglieren, um zu verschleiern, was niemand sehen darf. Sämtliche Gesetzesentwürfe abgewürgt wie den glücklosen Vorstoß irgendeines namenlosen Abgeordneten.
    Einfach, zu einfach. Und so bleibt Cèrcasi sauber. Naiv vielleicht und gewiss arrogant, aber sauber.
    Das gilt für die Vergangenheit ebenso wie für die Gegenwart. Es gibt keinerlei Verbindung zwischen ihm und der Perseo. Keinerlei Verbindung zwischen Cèrcasi und Rossini.
    Ich schließe die Datei, schalte die Webcam ein und rufe Giulia an. Versuche, die Welt zu vergessen, so zu tun, als gäbe es außerhalb des Monitorvierecks nichts.
    Ich treffe sie vor einem Teller Spaghetti an. Auf dem Küchentisch stapeln sich Zeitungen, Bücher, Nudelpackungen und Tomatenreste. Sie hat Freunde zu Besuch, und die Italienerin ist natürlich fürs Kochen zuständig.
    »Ich vermisse deine Pasta«, sagt sie lächelnd. Und obwohl ich den Verdacht habe, dass sie es nicht ernst meint, freue ich mich. Sie fragt nach dem nächsten Artikel. Ich sage ihr, dass ich fast soweit bin, und erst als ich es sage, wird mir klar, dass es wohl stimmt. Es macht mir ein bisschen Angst.
    Ich verabschiede mich mit einem gezwungenen Lächeln und hoffe, dass die Entfernung meine Beklommenheit überspielt. Ich schalte den Fernseher ein.
    Die Nachrichten beginnen mit Pietro Vitales Festnahme. Die Nummer zwei der Cosa Nostra ist vor vier Tagen gefasst worden. Er lebte allein in einem Bauernhaus fünfzig Kilometer südlich von Palermo. Ehe er sich ergab, hat er zwei Polizisten verletzt, bei seiner Festnahme war er übel zugerichtet. Eine Kugel im Bauch und eine im Bein. Eine geheime Notoperation mitten in der Nacht. Inzwischen befindet er sich an einem geschützten Ort außerhalb Siziliens.
    Ich stelle den Fernseher leise und rufe Daniele an. Nach dem dritten Klingeln hebt er ab.
    »Ich weiß«, sagt er. Und legt sofort wieder auf.
    Ich schalte den Fernseher ab.
    Es gibt keine Zufälle, denke ich. Sie sind der Trost, in den wir uns flüchten, wenn die Wirklichkeit undurchschaubar oder unerträglich wird.
    Ich ziehe eine Kopie der Dateien auf den USB-Stick und schicke eine weitere Kopie an ein Postfach, das ich vor ein paar Tagen eigens dafür eingerichtet habe. Eine Minute später schalte ich den Computer aus und gehe ohne das Licht anzumachen ins Bett. Ich schlüpfe unter die Decke und schließe die Augen.
    Sofort überkommt mich der Schlaf. Ich träume von Elena. Wir sind am Meer, in einer Bar an einem weißen, menschenleeren Strand. Es ist heiß, aber es ist nicht Sommer, und sie ist nie gestorben.
    Den Unfall hat es nie gegeben, sie hat mich lediglich verlassen.
    »Ich musste es tun«, sagt sie. Und ich weiß nicht, ob sie damit die Illusion des Traumes oder ihre unverbesserliche Halsstarrigkeit meint, die ihr den Tod gebracht hat.
    Wir reden eine Ewigkeit, einen ganzen Jahreszeitenwechsel lang, bis das Meer grau zu werden beginnt und vom Himmel die ersten Tropfen fallen.
    Da wache ich auf, das Gesicht nass geweint, ohne dass ich es gemerkt habe. Es ist heller Morgen, und ich kann mich an kein einziges Wort unserer Unterhaltung erinnern.
     
    »Ich weiß«, sagt Daniele und schaltet das Telefon aus.
    Das Auto hält vor einem Notausgang. Weiße Rahmen, verdunkeltes Glas, Panikschloss. Ringsherum liegt der Park und wartet auf Nacht und Regen. Der Regen hat ihn die ganze Reise begleitet. Grau, fein, unaufhörlich.
    »Ich bin bereit, Dottore.«
    Die Stimme des Eskortenchefs vom Vordersitz. Seine

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