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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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das zu sagen?«
    Sie kramt etwas aus der Tasche auf ihrem Schoß, vielleicht ein Taschentuch.
    »Auf dem Tisch hinter Ihnen liegt etwas, das Sie lesen müssen. Ich habe mir Fragen gestellt und bin auf die Suche nach Antworten gegangen. Ihn konnte ich nicht fragen, also habe ich … gesucht. Es war in einer seiner Schreibtischschubladen.«
    »Vielleicht sollten Sie zur Staatsanwaltschaft gehen.«
    Ihre Antwort kommt sofort.
    »Nein. Nein.« Sie seufzt. »Außerdem ist nichts Strafbares darin. Ich wäre … am Ende. Ich und meine Familie. Ich rede von meinen Eltern.«
    Ich drehe mich um und will aufstehen.
    »Nicht jetzt, bitte.«
    Auf dem Tisch liegt etwas Rechteckiges, nicht viel dicker als ein Buch.
    Ich setze mich.
    »Das tun Sie bitte, wenn ich weg bin.«
    »Wie Sie wollen.«
    Schweigend ordnet sie sich das Haar. Als sie wieder zu sprechen anfängt, klingt ihre Stimme anders. Weder Schmerz noch Bedauern liegen darin.
    Nur Vorwurf.
    »All Ihre Vermutungen sind wahr«, sagt sie. »Als ich das begriffen habe …«
    Sie will weiterreden, setzt erneut an. Es gelingt ihr nicht. »Sie werden es nie beweisen können. Selbst ich könnte es nicht, wenn mich jemand danach fragte. Man hätte mein Leben leben müssen, um es zu verstehen. Die Kleinigkeiten, die Nuancen. Man müsste eine Erinnerungstransplantation vornehmen.«
    Im letzten Satz schwingt Sarkasmus mit, dann verstummt sie. Als sie endlich weiterredet, scheint sie ein Gespräch fortzusetzen, dass sie im Geist viele Male geführt hat.
    »Doch es ist richtig, dass Sie es wissen. Vielleicht können Sie sich durch das, was Sie lesen werden, ein klareres Bild machen.«
    »Ich kann nichts mehr tun, Signora.«
    Sie tut so, als hätte sie mich nicht gehört.
    »Ich bin niemals hier gewesen. Wir haben niemals miteinander gesprochen. Niemand hat mich gesehen, niemand wird mich sehen.« Sie schluckt, weint nicht, schluchzt nicht, das Taschentuch scheint zu genügen. »Wenn das, was ich Ihnen gebracht habe, herauskommt, bin ich am Ende.«
    Sie sagt nicht tot. Am Ende. Aus ihrem Mund klingt es, als reichte das über das Ende des Lebens hinaus. Ich muss an ein vollkommen hilfloses Wesen denken, das sein Leben gefangen im eigenen Körper in einem Krankenhausbett fristet. Sie steht auf und verschwindet, gefolgt von ihrem Begleiter, im dunklen Flur.
    Plötzlich bleibt sie stehen.
    »Einmal habe ich sie zusammen gesehen.«
    Ich stelle mir ihr Gesicht vor, der gepanzerten Wohnungstür zugewendet. Sie dreht sich nicht zu mir um. Nicht einmal im Dunkeln. Ich stehe auf und trete in den Flur. Sie ist nur ein Schatten vor der geschlossenen Tür.
    »Wen?«
    »Ihn und Cèrcasi. Vor langer Zeit.« Sie bricht ab. »Sie redeten miteinander, im Garten, vor der Glastür. Ich nehme an, Sie kennen mein Haus. Es war oft genug im Fernsehen zu sehen.« Sie verstummt und ich warte mit angehaltenem Atem darauf, dass sie die Tür öffnet. Doch sie scheint noch nicht fertig zu sein. »Cèrcasi sah aus wie eine Salzsäule. Er stand da und starrte ihn an, er schien noch nicht einmal zu atmen. Ich glaube nicht, dass sie mich bemerkt haben. ›Du musst es tun‹, hat er gesagt. ›Wir müssen es tun. Wir haben keine Wahl. Du hast gesehen, wozu die fähig sind. Und die werden nicht aufhören. Du kannst immer auf mich zählen.‹ Das hatte ich vergessen, bis ich Ihre Artikel gelesen habe.«
    »Was werden Sie jetzt …«, hebe ich an. Ich kann nicht ausreden.
    »Ich zähle auf Ihre Verschwiegenheit.«
    Die Tür geht auf, und Crystal, Luca Rossinis Frau, verlässt meine Wohnung.
    Kurz darauf ziehe ich die Rollläden hoch. Im Nachmittagslicht fange ich an zu lesen, was sie mir dagelassen hat.
    Spät abends mache ich eine Pause, um die angestaute Wut loszuwerden. Ich schalte den Fernseher ein. Danieles Tod ist die vierte Nachricht.
    Ich wünschte, ich könnte aus diesem Leben fliehen. Aber ich weiß nicht mehr, wohin.
     
    »Da ist jemand, der dich sehen möchte.«
    Andreas Worte erreichen mich eine Woche nach Danieles Tod. Niemand hat ihn obduziert. Herzanfall, hat der Arzt gesagt. Es war ein Herzanfall.
    Ich treffe ihn beim Kiosk, natürlich ist er nicht zufällig dort.
    »Ich will niemanden sehen.«
    »Ich habe nicht gefragt, ob du ihn sehen willst.«
    Ich grinse höhnisch.
    »Das war kein Befehl«, versucht er hastig zu beschwichtigen.
    Ich setze meinen Heimweg fort. Er bleibt wortlos an meinerSeite, wartet, bis ich den Schlüssel ins Türschloss stecke, und sagt zwei Worte.
    Ich erstarre in der Bewegung, den

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