Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
Vom Netzwerk:
mit diesem seligen Kinderblick, der mir das Herz durchdrang. Ein Blick – jetzt weiß ich es gewiss –, den ich nicht vergessen habe.
    Ich stecke es in die Tasche, klemme den Karton mit meinen Manuskripten unter den Arm und gehe nach Hause.
    Als ich nach Hause komme, bricht ein sonniger Nachmittag an. Der Schnee ist fast vollkommen verschwunden. Zurück bleiben nasse Straßen und harschige Schneehaufen an den Gehwegen. Eine Erinnerung, die bald verschwunden sein wird.
    Ich trete ein, stelle die Schachtel ab, mache die Tür hinter mir zu und will das Licht anschalten.
    Ich drücke auf den Schalter. Zweimal. Der Flur bleibt dunkel. Ich überlege, wo ich die Ersatzbirnen hingetan habe, und gehe in die Küche. Die Rollläden sind herabgelassen, wie in der ganzen Wohnung. Und auch hier ist das Licht kaputt.
    Ich gehe zum Fenster und will den Rollladen hochziehen, aber es gelingt mir nur wenige Zentimeter.
    »Tun Sie es nicht, ich bitte Sie.«
    Ich erstarre, mein Herz bleibt stehen.
    Die Stimme einer Frau, aus dem Wohnzimmer. Das Gefühl, dass hinter mir jemand ist.
    Ich drehe mich um. Der Mann steht in der Tür, eine blaue Silhouette im Halbdunkel. Ich erkenne die breiten Schultern, die die gesamte Tür einnehmen. Und dass er eine Glatze hat.
    »Ich habe auf Sie gewartet.« Die Frau hat einen französischen Akzent und eine Stimme, die mir bekannt vorkommt.
    Das geht mir erst auf, als ich sie zum zweiten Mal höre. Ich frage mich, ob mich ihre unerwartete Gegenwart erschreckt oder aber die Erkenntnis, wen ich in der Wohnung habe.
    Der Glatzkopf macht die Tür frei und ich trete ins Wohnzimmer. Ein dünner Lichtstrahl fällt aus dem Schlafzimmer herein und hüllt das Zimmer in fahles Graublau, das die Formen, aber nicht die Gesichter erkenne lässt.
    Sie sitzt ganz hinten im Sessel, das Licht im Rücken.
    »Entschuldigen Sie den Auftritt«, sagt sie. »Aber ich wollte neugierige Blicke vermeiden.«
    »Meinen auch?«
    Ihr Seufzer klingt nach einem Lächeln.
    »Mir ist wohler, wenn Ihnen hinsichtlich meiner Identität ein Zweifel bleibt.«
    »Wie Sie wollen.« Ich setze mich ihr gegenüber aufs Sofa.
    Ich kann ein paar Stiefel mit hohem Absatz erkennen, zusammengebundenes Haar, lange, übereinandergeschlagene Beine. Ich versuche, mir ihre Augen vorzustellen, die ich unzählige Male gesehen habe. Dunkel, wie ihr Haar. Ich bin sicher, sie sind traurig, als sie wieder zu reden anfängt.
    »Wegen Ihres Vaters tut es mir leid.« Ich antworte nicht, und sie wartet gerade lange genug, um nicht unhöflich zu erscheinen.
    »Sie haben mein Leben zerstört, ich sollte Sie hassen.«
    Ich drehe mich zu dem Glatzkopf um. Reglos steht er zwischen Wohnzimmer und Flur. Sie bemerkt meinen Blick und will mich sofort beschwichtigen.
    »Sie brauchen keine Angst zu haben. Und ich entschuldige mich für diesen Überfall. Aber ich hatte keine andere Wahl.«
    »Um mich habe ich keine Angst«, sage ich. »Und vielleicht sollten Sie jetzt gehen.«
    Sie lacht ohne einen Hauch von Belustigung.
    »Sie können nicht mein Leben zerstören, ohne mir das Recht auf Widerspruch zu geben.«
    Ich bleibe stumm. Ich will nur, dass sie endlich redet, dass sie den Vorhang hebt und mir erlaubt zu vergessen.
    »Ich habe Ihre Artikel gelesen«, fährt sie fort. »Ich lese aufmerksam Zeitung, auch wenn die Presse mich immer als Flittchen dargestellt hat. Nicht dass mich das kratzt.« Sie schweigt einen Moment. »Schon komisch, da hatte ich mir eine lange Rede zurechtgelegt, und jetzt, wo ich hier bin … Wie auch immer, das, was Sie geschrieben haben, hat mir die Augen geöffnet. Seit Jahren gibt mir das Leben meines Mannes Rätsel auf. Und ich rede nicht von Seitensprüngen. Ich glaube, die hat es gar nicht gegeben. Auch wenn er reichlich Gelegenheiten dazu gehabt hätte. Und ich ebenso. Aber ichglaube, als er mich geheiratet hat, hat er einen Pakt mit sich selbst geschlossen. Er wollte sein Leben ändern, mit der Vergangenheit abschließen, etwas aufbauen. Das haben wir getan. Viele Jahre sind vergangen, wir haben keine Kinder, aber das ist ein klinisches Problem, kein sexuelles. Ich hoffe, ich bringe Sie nicht in Verlegenheit.«
    Ich habe keine Antwort. Und sie will keine hören.
    »Mit meinem Mann läuft also alles bestens. Aber seine Geschäfte machen mir Sorgen. Das war schon immer so, und Sie halten mich bestimmt für ziemlich blöd, dass ich jetzt erst beginne zu verstehen. Und das wegen ein paar Zeitungsartikeln! Aber so ist es.«
    »Sind Sie gekommen, um mir

Weitere Kostenlose Bücher