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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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Blick auf meine Finger gerichtet.
    Vierundzwanzig Stunden später bin ich in Palermo, das Gepäck für zwei Tage neben mir, vor mir ein freundlicher, zurückhaltender Portier, der mir den elektronischen Schlüssel und eine Karte hinhält. Ich lese sie, als ich im Zimmer bin.
    Danke, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind
, steht da.
    Ich zerreiße sie, winzige Konfettischnipsel, die ich in die Kloschüssel rieseln lasse. Dann sehe ich zu, wie sie im Strudel der Wasserspülung verschwinden. Ich stütze die Hände aufs Waschbecken, fahre mir mit den Fingern durchs Haar. Da ist ein weißer, ein dünner Faden, der oberhalb des rechten Ohres auftaucht und verschwindet.
    Ich lächle leise.
    Er klopft.
    »Signore, Sie haben Ihre Brieftasche an der Rezeption liegenlassen.«
    Reglos bleibe ich hinter der Tür stehen.
    »Einen Moment.«
    Ich durchsuche meine Hosentaschen, dann meine Jacke. Ich öffne.
    Da steht ein Mann in Hoteluniform. Er hält meine Brieftasche in der Hand.
    Er sieht mich an. Zu lang. Ich erwidere den Blick. Irgendetwas an ihm ist mir nicht geheuer. Der allzu durchtrainierte Körper, die durchdringenden Augen, die eher gewohnt zu sein scheinen, einem Feind zu begegnen als einen Gast zu beruhigen.
    »Ihre Brieftasche, Signore.«
    Ich greife danach und bedanke mich.
    »Signor Ignazio Solara fragt, ob Sie seine Karte erhalten haben.«
    Ich nicke knapp.
    »Ja, danke. Sagen Sie ihm, ich freue mich, ihn zu treffen.«
    Er nickt zurück und will sich umdrehen. Eine winzige Bewegung.
    Ich stürze zu Boden, die Tür schließt sich, etwas trifft mich in die Seite, ich strecke die Hände vor, versuche zu treten, nehme den Geruch wahr, der mir den Atem abschnürt.
    Die Welt verschwindet.
    Dunkel.
    Als ich aus dem Grau wieder auftauche, liege ich auf einem Autorücksitz. Verdunkelte Scheiben, eine schwarze Kunststofftrennwand zwischen dem Fond und den Vordersitzen. Nach ein paar Minuten bleiben wir stehen. Die Tür geht auf. Der Mann von vorhin hält mir den Schlag auf und wartet, dass ich aussteige.
    Eine Industriebrache. Leere Lagerhallen. Ein verrosteter, umgestürzter Kran. Ein paar Container. Das Geräusch des Windes, der mit einem Metallgegenstand spielt.
    Eine Frau.
    Sie kommt aus der Lagerhalle gegenüber. Sie trägt kurzes, braunes Haar, eine schwarze Baumwolljacke, Jeans. Sie ist näher an den fünfzig als an den vierzig. Sie geht schnell und schaut starr geradeaus.
    Sie begrüßt mich mit meinem Namen. Kein Lächeln, eine aufgesetzte Etikette scheint hier nicht angebracht zu sein.
    Ich drücke ihre Hand.
    »Signora …«
    »Ihr Vater und Ihre Frau nannten mich Clara. Und wie ich schon damals sagte, glauben Sie nicht, dass das mein richtiger Name ist.«
     
    Die Halle ist leer und seit langem verlassen. Wir durchqueren sie schweigend, gefolgt vom Echo unserer Schritte. Wir gehen durch ein Tor am Ende der Halle. Irgendwann einmal war ein Rollladen aus Aluminium davor, der jetzt völlig verbogen an der Wand lehnt, als wäre ein großes Fahrzeug hineingefahren.
    Draußen ist das Meer überall, direkt hinter einem kleinen Abhang, der steil zu den Klippen hinunterführt. Clara knöpft ihre Jacke auf, vergräbt die Hände in den Jeanstaschen. Der Wind spielt mit ihrem Haar. Eine Strähne fällt ihr ins Gesicht. Zweimal streicht sie sie fort, dann lässt sie davon ab.
    »Ich hätte nicht erwartet, Sie zu treffen«, sage ich.
    Sie reagiert nicht, erwidert nichts, sieht mich nicht an. Schweigend schaut sie aufs Meer, als jagte sie Worten nach, die sich nicht fassen lassen.
    »Wegen Ihres Vaters tut es mir leid.«
    Der Satz kommt genau in dem Moment, als der Wind sich legt. Sie dreht sich abrupt zu mir um, nimmt die Hände aus den Taschen und sagt diese wenigen Worte. Ich bemühe mich, nicht zu lächeln. Die Welt lebt von Floskeln, und Adrianos Tod scheint ein guter Vorwand zu sein, um ein heikles Thema anzusprechen.
    »Wie lange haben Sie ihn nicht mehr gesehen?«
    »Wir haben uns nur einmal getroffen. Vor langer Zeit. Sie kennen die Geschichte.«
    Ich nicke. Wieder der Wind. Kaum spürbar, ein Hauch, der sofort verebbt.
    »Sie werden sich fragen, weshalb ich Sie sehen wollte.«
    »Ich dachte, Ignazio Solara wollte …«
    Sie hebt die Hand.
    »Es gibt einiges, was Sie nicht wissen.«
    Ich bleibe ungerührt. »Ich will niemandem mehr zuhören.«
    Clara sieht zu Boden.
    »Eigentlich bin ich hier, um Ihnen zu sagen, dass es mir leidtut.«
    »Das sagten Sie bereits.«
    Sie macht einen Schritt auf mich zu.
    »Ich meine nicht

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