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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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Riina wird verkauft. Dann seine Soldaten. Hilfe kommt von Tangentopoli, das alles vom Tisch fegt. Die Menschen lechzen nach etwas Neuem. Die Mafia sucht sich neue Partner und verschwindet. Die Flut steigt, das Meer beruhigt sich, das Geld beginnt wieder zu fließen. Für diese Leute war Paolo Borsellino der erste tote Ast.«
    Nach zwei Zügen wirft sie die Zigarette weg. Als sie weiterredet, versucht sie ein Lächeln zu unterdrücken.
    »Wissen Sie, was hier in Palermo los ist, wenn man versucht, Bernardo Provenzano zu schnappen? Sie machen einem unmissverständlich klar, dass das keine gute Idee ist. Und glauben Sie mir, man muss kein Genie sein, um drauf zu kommen, dass die Carabinieri ihn decken.«
    »Abmachung ist Abmachung.«
    Sie knöpft sich die Jacke zu.
    »Nach dem Unfall hat Ihr Vater Ihnen das Leben gerettet.«
    Ich weiche einen Schritt zurück. Der Satz ist wie eine unerwünschte Berührung. Ich lache auf, schüttele den Kopf, senke den Blick. Clara fährt fort. Clara und ihre Vergangenheit, die einfach nicht verschwinden will. Clara und der Irrglaube, dass alles vorbei ist, obwohl es niemals vorbei sein wird.
    »Was zum Teufel soll das heißen …«, raune ich.
    »Nach dem Unfall hat er sich mit einem Mann getroffen. Ich nehme an, Sie kennen ihn als den Mann mit der Zigarette oder so ähnlich. Sie haben ebenfalls einen Pakt geschlossen. Das Schweigen für Ihr Leben und das Ihrer Tochter. Dafür hat er aufhören müssen zu schreiben.«
    Ich starre sie an. Die Luft ist plötzlich eiskalt. Das Meer ist dunkel, stürmisch, feindlich.
    »Nein«, sage ich. »Nein. Nein …«
    Clara verschränkt die Arme. Sie hat Gänsehaut auf den Unterarmen.
    »Sie haben es vorhin selbst gesagt. Ich sehe die Hufe, die Mähne, die Zähne, das Fell. Denken Sie nach, und Sie werden sehen, dass Sie von allein auf die Antwort kommen.«
    Ich schüttele noch immer den Kopf. Ich mache ein paar Schritte Richtung Pfad, kehre um.
    »Und wusste er alles?«
    »Nein. Er wusste, dass er es hätte wissen können. Es gab Elenas Unterlagen, er hätte sie nur lesen müssen.«
    »Und wieso hat er sie mir gegeben?«
    »Vielleicht, weil er begriffen hat, dass Sie keine Ruhe geben würden. Und das war die einzige Möglichkeit, Ihnen zu helfen. Den Rest haben Sie dann wohl gemeinsam herausgefunden.«
    Ich gehe zur Halle. Lehne mich an die Mauer. Schließe die Augen. Denke an das Lächeln meines Vaters, an die Art, wie er mich ansah, wenn er sich unbeobachtet glaubte. An die Diskussion, die dem ersten Artikel vorausging.
    An seine Stimme im Auto, kurz bevor die Welt aus den Angeln stürzt.
    Ich öffne die Augen. Clara ist neben mir, einen Fuß gegen die Mauer gestützt.
    »Manchmal besteht das eigentliche Problem darin, dass man nicht glauben will«, sagt sie. »Das, was man sieht, reicht nicht. Es braucht etwas, das es menschlich, das es denkbar macht. Enthüllungen, die das Leben verändern, schmecken niemandem. Vor allem, wenn man sich damit sehr dumm vorkommt. Wie oft haben Sie sich gefragt, ob Sie es nicht eher hätten durchschauen können? Wie oft haben Sie sich darüber den Kopf zerbrochen, wieso Sie all diese Zufälle fraglos hingenommen haben?«
    »Reden Sie von meinem Vater, von Rossini oder von Cèrcasi?«
    »Das können Sie sich aussuchen.«
    »Oft.«
    »Sehen Sie? Da sind Sie nicht der Einzige. Den meisten Menschen geht es so. Das Leben ist so schon schwer genug, wieso sich auch noch um den Rest der Welt kümmern? Wenn Sie wüssten, wie oft ich mich bei dem Gedanken erwische, ich hätte in jenem Sommer etwas tun können. Oder ich könnte heute etwas tun. Ein demonstrativer Akt, der die Wahrheit geraderückt, zumindest in meinen Augen.«
    »Es würde nichts nützen.«
    Clara nickt.
    »Eben. Sie würden mich in Stücke reißen, sonst nichts. Diese Geschichte kommt ans Licht, wenn der richtige Moment da ist.«
    »Glauben Sie?«
    Sie stößt sich von der Mauer ab.
    »Man kann sich nicht immer verstecken, nicht immer auf der Flucht sein. Der, der einem geholfen hat zu fliehen, wird trotzdem jemanden brauchen, der schnell rennen kann. Früher oder später packt man es nicht mehr, man wird ersetzt. Und wenn es soweit ist, wird einem klar, dass man nur eine Spielfigur war. Das ist schon vor Rossini vielen so gegangen. Und ihm wird es ebenso gehen.«
    »Sie vergessen das Geld.«
    Clara lächelt.
    »Glauben Sie, einen anderen willigen Geschäftspartner zu finden ist schwer?«
    Ich antworte nicht und lasse den Satz in der Stille verglühen. Es ist

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