Bleiernes Schweigen
Hilfe abkassiert haben, stehen auf ziemlich wackligem Posten und drohen sich nacheinander in die Tiefe zu reißen.
Das Dominospiel hat begonnen. Der Junge hört die fallenden Steine.
Klick. Klack. Klick. Klack.
Noch sind sie fern, aber sie kommen näher. Noch sind es wenige, aber sie sind nicht aufzuhalten. Dieses Geräusch hält ihn nachts wach, es begleitet seinen Atem, seinen Herzschlag.
Und seine Freunde, die ihr Geld reingesteckt haben und deren Namen im Unternehmen nicht auftauchen dürfen, fangen an, sich Sorgen um ihre Investitionen zu machen. Ihnen geht es auch nicht viel besser. Ihr habt dieselben Freunde. Euch schwindet der Boden unter den Füßen.
Klick. Klack. Das Loch wird größer.
Klick. Klack. Jemand, der genauso groß geworden ist wie du, hält es nicht mehr aus. Er hat sich eine Kugel in den Kopf gejagt, lieber wollte er nicht mehr mitspielen, als das Imperium zu verlieren.
Klick. Klack. Du bist drauf und dran, alles zu verlieren, aber du hast ein Rettungsboot. Du und deine nicht vorzeigbaren Partner brauchen es.
Dein alter Freund ist noch immer an deiner Seite. Er hat eine Idee. Du übernimmst sie, studierst sie gründlich, schließlich darf der Zylinder bei den besten Tricks nicht leer sein.
Ein Wahnsinn. Ein Sprung ins Leere. Ein Selbstmord. Du suchst nach einer Alternative, denkst nach, liegst ganze Nächte wach. Und die Freunde deines Freundes, die dir geholfen haben, als du fast am Ende warst, drängen.
Einmal.
Du willst nicht.
Zweimal.
Du hörst nicht hin.
Dreimal.
Dir fehlt der Mut.
Viermal.
Es führt kein Weg drumherum. Sie werden nicht aufhören.
Es braucht lediglich einen Assistenten.
Jemanden, der den Finger vor den nächsten Dominostein hält.
Jemanden, der etwas zu verlieren hat.
Einen wie dich.
Niemand wird herausfinden, wer ihr wirklich seid. Es gib immer einen Ausweg, und auch diesmal hast du ihn gefunden.
Manchmal muss man den Pakt mit dem Teufel erneuern, wenn man überleben will. Und es ist dir ziemlich egal, ob sich dadurch die Vertragsbedingungen verschlechtern.
»Schöne Geschichte.«
Clara drückt die vierte Zigarette aus. Ich tue es ihr gleich, ehe der Stummel mir die Finger verbrennt.
»Sagen Sie mir nicht, dass Sie sie nicht kannten.«
Sie überhört mich.
»Der Staat will nicht zusammenbrechen und erfindet sichneu. Und jemand anders rettet sein Geld und sein Leben und sichert sich eine sorglose, freie Existenz ohne lästige Scherereien. Alle haben etwas davon. Und das Spiel geht auf.«
Sie macht eine Pause.
»Die Angst ist die beste Botschaft. Und die Bomben jener Jahre waren die deutlichste Message, die man schicken konnte. An den Gutgläubigen, der von nichts wusste, und an den, der die Macht hatte, sie zu stoppen, und sich nicht durchringen konnte. Zwei Fliegen mit einer Klappe.«
»Ich glaube nicht, dass Rossini alles wusste.«
Sie lächelt bitter.
»Rossini ist nur eine Marionette, ein Aufschneider. Sie haben es vorhin auf den Punkt gebracht. Ihm ist es egal, das ist die Moral von der Geschichte. Die Cosa Nostra ist ein Geschäftspartner wie jeder andere. Und er hatte zu viel Schiss, sich aus der Affäre zu ziehen, als sich die Dinge zum Schlechten zu wenden begannen. Im Grunde hatte er keine Wahl. Sie legten Bomben, machten Druck. Wahrscheinlich auch sein Freund Marsigli, der ihn jederzeit hätte fertigmachen können. Das Imperium bröckelte. Er hatte kaum eine Wahl, meinen Sie nicht?«
Ich sehe sie an und denke an Davide Mirri. Clara antwortet nicht.
»Im Grunde hat er allen einen Gefallen getan. Das Spiel war aus, die Welt brach zusammen. Er konnte nur noch auf das letzte Pferd im Stall setzen und einen Neuanfang wagen.«
Sie zündet sich eine neue Zigarette an.
»Wenn etwas von dieser Tragweite passiert«, fährt sie fort, »hat man zwei Effekte. Erstens den direkten. Das Ereignis an sich. Die Bombe am Bahnhof von Bologna zum Beispiel. Capaci. Via d’Amelio. Man schaltet einen Feind aus, und das TNT ist sehr viel langlebiger als eine Kugel. Oder man verbreitet Panik. Zweitens den indirekten, der nur dann eintritt, wenn man mit dem Sprengstoff ein radikales Ziel verfolgt. Für eine kleine Kurskorrektur lehnt man sich nicht so weit aus dem Fenster.«
Ich sehe sie an.
»Und der wäre?«
»Man schneidet die toten Äste ab. Alle. Ausnahmslos. Überlegen Sie mal, was geschehen ist. Andreotti ist raus, zuerst durch den Prozess wegen Mafiabegünstigung und dann durch die Verurteilung. Giordano fliegt auf die gleiche Weise.
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