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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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kalt. Jule genoss es, ihr Gesicht ins helle Licht der Sonnenstrahlen
zu halten, während sie über den Campingplatz spazierte. Der Schnee knirschte
unter den Füßen. Scheinbar ziellos wanderte sie über die Wege zwischen den
Stellplätzen, Sanitärgebäuden und Freizeitanlagen. Vom Angelsee hielt sie sich
fern, weil sie vermeiden wollte, ein zweites Mal an diesem Morgen Peter
Odenthal zu begegnen.
    Eigentlich
war es völlig untypisch für Jule, nicht auf schnellstem Weg die umliegenden
Wälder anzustreben. Dass sie auf dem Gelände die Zeit vertrödelte, hatte jedoch
wenig mit der Angst zu tun, draußen womöglich auf den Ausbrecher zu stoßen.
Wenn sie ehrlich mit sich selbst war, musste sie sich eingestehen, dass sie
Ausschau hielt. Ausschau nach Micha, dem Faktotum.
    Das
gestrige Gespräch mit ihm hatte ihr gefallen. Es war angenehm gewesen, ihn um
sich zu haben. Wie sein verschlossenes Gesicht sich unvermittelt geöffnet
hatte, wenn ihre Blicke sich begegneten oder wie sein Lächeln die sonst eher
ernsten Züge erhellte, hatte sie berührt. Sie mochte den Mann. Deshalb
beunruhigte sie die Szene an den Müllcontainern, die sie gestern Abend
belauscht hatte, umso mehr. Michael war von dem anderen auf üble Weise bedrängt
worden. Sogar bedroht. Sie sorgte sich, war aber gleichzeitig neugierig.
    Schließlich
traf sie ihn auf dem Parkplatz neben der Rezeption. Dort stand zusammen mit
einer Handvoll anderer Autos ihr kleiner blauer Twingo in weißem Winterpelz,
seit Wochen ungenutzt. Ansonsten war der Parkplatz leer.
    Micha
schippte Schnee und kehrte ihr dabei den Rücken zu. Schwungvoll fuhr die
Schaufel in die glitzernde Masse, kratzte über den darunter liegenden Beton und
vollführte einen exakten Halbkreis in der Luft. Der Schnee landete in
schillernder Kaskade auf einem großen Haufen. Wieder faszinierten sie
Konzentration und Rhythmik, die den kraftvollen Bewegungen des Mannes inne
wohnten. Er schien völlig versunken in das, was er tat. Jule fühlte sich an den
Straßenkehrer in ›Momo‹ erinnert, bevor die grauen Männer ihm die Zeit rauben
und die Ruhe nehmen. Gerade wollte sie sich abwenden, um ihn nicht zu stören,
da hielt er inne und drehte sich zu ihr herum. Sein Lächeln war warm, die
Freude echt.
    »Hallo
Jule. Unterwegs zum Waldspaziergang? Wie jeden Morgen?«
    »Ja,
genau.« Dass er über ihre tägliche Gepflogenheiten Bescheid wusste, verwirrte
sie. Sie spürte, wie sie errötete. Peinlich.
    Plötzlich
verdüsterte sich Michaels Gesicht, als sei ihm gerade etwas Unangenehmes
eingefallen. Sein Blick glitt in die Ferne und zurück, bis er in ihren Augen
hängen blieb.
    »Du
bleibst heute besser auf dem Platz! Wenn’s geht, unter Leuten.« Es klang wie
ein Befehl. »Stefan Winter ist irgendwo da draußen.« Er wies mit der
Schneeschaufel in Richtung der Wälder. »Und jede Menge Polizei. Keine gute
Idee, zwischen die Fronten zu geraten.«
    Zwischen
die Fronten. Was für eine unpassende Floskel. Sie befanden sich doch nicht im
Krieg.
    »Meinst
du nicht, dass du etwas übertreibst?«
    »Nein.«
    Die
Antwort kam schnell und bestimmt. Micha presste die Lippen zusammen und
arbeitete weiter. Angespannter diesmal, abgehackter.
    »Dann
komm doch mit. Zu meinem Schutz.«
    Die
Erwiderung war Jule nur herausgerutscht. Sie bereute sie, kaum dass sie sie
ausgesprochen hatte. Michael aber hielt mitten in der Bewegung inne, rammte die
Schaufel in den Schnee und betrachtete sie nachdenklich.
    Seine
Antwort verblüffte sie.
    »Okay.«
Er lächelte leicht, während seine Augen ernst blieben. »Aber erst heute
Nachmittag. Wenn ich hier fertig bin. Ich hole dich um drei ab. Passt das?«
    Jule
schluckte. Aus der Nummer kam sie nicht mehr raus.
    »Ja,
das passt.«
    Ihr
Herz klopfte laut bis zum Hals, als sie sich auf den Rückweg zu Omas ehemaligem
Wohnwagen machte.
    »Bis
dahin verlass aber auf keinen Fall das Gelände«, rief er ihr noch hinterher.
Eine Antwort sparte sie sich.
     
    Unterwegs begegnete sie zwei
uniformierten Polizisten, die über den Campingplatz patrouillierten. Erst in
diesem Moment wurde ihr der Ernst der Lage bewusst. Die Gefahr war real, nicht
an den Haaren herbeigezogen. Der Ausbrecher hielt sich aller Wahrscheinlichkeit
nach in Steinbach oder Umgebung auf. Man suchte ihn fieberhaft und mit
vereinten Kräften.
    Zügig lief
sie auf den Stellplatz zu. Dann würde sie eben im Wohnwagen einen weiteren
Kaffee trinken und lesen. Oder fernsehen. Vielleicht wussten die Medien Neues
über den Fall zu

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