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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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Augen im
Sichtfeld der Sturmmaske wurden ganz leer, wie tot, und er ließ die Pistole
sinken. In dem Moment drückte der Bulle ab – mit
knallharter Miene. Stefans Körper wurde von der Wucht des Schusses nach hinten
gerissen, seine Arme fuhren nach oben. Aus seiner Knarre löste sich ein Schuss.
Der Bulle kippte um wie ein gefällter Baum, und die anderen rannten plötzlich
wild durcheinander.
    In dem
Augenblick setzte mein Denken aus. Ich lief los. Keine Ahnung, warum mich
niemand aufhielt. Vielleicht waren die Bullen im Schock, vielleicht dachten
sie, Stefan sei noch bei Bewusstsein. Vielleicht hatten sie Angst um das Leben
der Geisel oder des Kollegen. Oder sie hatten gar nicht richtig wahrgenommen,
dass es mich gab. Ich weiß es wirklich nicht. Aber ich schaffte es tatsächlich
bis um die Ecke zu dem geklauten Käfer und sprang hinein.
    Dann
fuhr und fuhr ich, ohne ein festes Ziel. Und landete wie von selbst im
›Eifelwind‹.«
    Micha
hielt inne. Seine Hand strich über Jules nackten Bauch.
    »Ich
hab nie in meinem Leben etwas so bereut wie diesen Überfall«, flüsterte er.
»Aber das nützte nichts. Es war passiert. Ich konnte nichts rückgängig machen.
Stattdessen machte ich es noch schlimmer. Tauchte unter und verriet Stefan
damit ein zweites Mal. Anstatt mich zu stellen und zu sagen, wie es wirklich
gewesen war, ließ ich zu, dass sie ihn zum eiskalten Mörder machten und für
immer wegsperrten. Das werde ich mir nie verzeihen. Es ist so, als hätte ich
ihn eigenhändig in die Zelle gesteckt und den Schlüssel weggeworfen.«
    »Nein!«,
widersprach Jule scharf. »Denk nach, Micha. Was dich umtreibt, ist dein
Schuldgefühl, das sich selbstständig gemacht hat. So wie es bei mir war! Mit
der Realität hat es wenig zu tun. Überleg mal: Wer hat dich damals zu dem
Bankraub überredet? Stefan, oder? Wer hat den Plan für den Ablauf gemacht? Auch
Stefan. Und wer hat die Geisel genommen, anstatt sich sofort zu stellen? Ich
will damit nur sagen, dass auch Stefan eine Menge Verantwortung trug. Willst du
ihm die absprechen? Und außerdem: Warum hängten die Richter die
Sicherungsverwahrung an die lebenslängliche Freiheitsstrafe? Weil Stefan ein
Hangtäter war. Zum Zeitpunkt des Prozesses liefen einige andere Verfahren gegen
ihn. Welchen Einfluss hattest du darauf? Keinen. Hab ich nicht recht?« Ihre
Finger glitten sanft über seine Gitarrensaitennarben.
    »Trotzdem.
Diese gnadenlose Härte war nicht gerechtfertigt. Ihn quasi lebendig zu
begraben. Stefan war nicht schlecht, sondern … «
    Jule
unterbrach ihn rüde: »… bloß ein verirrter Geist, ich weiß.« Sie liebte Gertis
Wortkreation. Immer noch. Sie traf so genau den Kern der Sache. »Aber am
Strafmaß bist nicht du schuld und auch nicht daran, was die Haft aus Stefan
gemacht hat. Es ist eine Sache, Leute wie ihn auf unbestimmte Zeit
wegzuschließen, aber eine andere, ihnen neben Strafe und Verwahrung zumindest
ein bisschen Perspektive zu geben. Als Zeichen der Menschlichkeit. Solche
Bemühungen sind heutzutage eher unpopulär. Leider.«
    Doch
Micha wollte sich offenbar auf keine gesellschaftspolitische Diskussion
einlassen. »Noch mal: Trotzdem habe ich meinen Freund im Stich gelassen, um
meinen Vorteil daraus zu ziehen.«
    Er
drehte sich im Kreis. So kamen sie keinen Schritt voran. Hilflos versuchte sie
es mit Sarkasmus. »Klar. Deshalb hast du auch auf deinen Teil der Beute
verzichtet und das ganze Zeug für Jahrzehnte neben meinem Weinstock
verbuddelt.«
    »Hör
auf, Jule. Ich hab’ dir erklärt, dass das Teil meiner Buße war … «
    Nun
wusste sie nicht mehr weiter. »Mmmh«, machte sie deshalb nur.
    »… dass
es aber viel mehr gebracht hätte, wenn ich vor Gericht ausgesagt hätte, dass
der Bulle zuerst geschossen und Stefans Schuss sich danach gelöst hat. Stefan
wäre jetzt nicht tot, sondern … «
    »Ja,
ja.«
    »Du
hörst mir nicht zu.«
    Jetzt
hatte sie ihn wütend gemacht. Und verletzt. »Doch«, erwiderte sie endlich. »Ich
hab genau gehört, was du gesagt hast. Aber du wirst mich nicht davon
überzeugen, dass du diese Last ganz allein zu tragen hast. Was meinst du, wem
man vor Gericht eher geglaubt hätte, den Euskirchener Polizisten mit ihren
abgesprochenen Aussagen oder dir, dem Bankräuber?«
    Micha
sagte nichts. Er lag steif wie ein Brett neben ihr. Also redete sie einfach
weiter, in der Hoffnung, irgendwann die Kapsel in seinem Innern aufzusprengen.
    »Du
wärst nur selbst für lange Jahre in den Knast gegangen. Geholfen hättest

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