Bleischwer
berichten.
Lebenslänglich
mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die beiden juristischen Ausdrücke, die
der Gesellschaft dauerhaften Schutz garantierten und für den Täter das
endgültige Aus von Freiheit und Selbstbestimmung bedeuteten, spukten ihr im
Kopf herum.
Sie erinnerte sich an ein
Gespräch mit Jörg zu dem Thema. Sie hatten im Kerzenschein auf dem Sofa
gekuschelt und Nüsse geknabbert, als Jörg ihr erzählte, warum er kein
Strafverteidiger wie seine Studienfreunde geworden war, sondern Anwalt für
Verwaltungsrecht.
»Schon
früh habe ich gemerkt, dass es nicht mein Ding ist, mich auf die Seite von
Kapitalverbrechern zu schlagen. Ich ziehe es vor, mich mit kniffeligen
Sachverhalten und juristischen Feinheiten zu beschäftigen. So habe ich außerdem
mit normalen, intelligenten Mandanten zu tun, nicht mit dem Abschaum der
Gesellschaft.«
Jule
runzelte die Stirn. »Abschaum?«, wendete sie ein. »Finde ich nicht richtig,
Menschen so zu betiteln, egal was sie getan haben.«
»Ach
ja?« Jörg sah ihr direkt in die Augen. »Und als was würdest du Mörder,
Triebtäter oder Geiselgangster bezeichnen, die zu Lebenslänglich mit
anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt werden, weil sie durch und durch
kriminell und notorische Hangtäter sind?«
»Keine
Ahnung. Ich würde erst mal davon ausgehen, dass niemand zum Spaß Verbrecher
wird. Viele dieser Täter sind als Kinder zunächst Opfer gewesen, haben
Missbrauch, Misshandlung oder Vernachlässigung am eigenen Leib erfahren müssen.
Das hat sie kaputt gemacht.«
Jetzt
richtete Jörg sich auf.
»Papperlapapp.
Jeder Mensch hat den freien Willen, sich anders zu entscheiden. Du machst es
dir mit deiner Gutmenschelei zu einfach. Nein, es gibt Kriminelle, die kein
Mitleid verdienen. Beruhigend, dass es die SV gibt. So hat man die Möglichkeit,
die Gesellschaft vor diesen Monstern zu schützen. Wenn es sein muss, bis zum
Tode.«
Jule
rückte ein Stück von ihm weg. Sie hatte gar nicht gewusst, welche radikalen
Ansichten ihr Mann vertrat. »Ich finde, dass du es dir zu einfach machst.«
Sie
dachte daran, was sie vor kurzem in einem Magazin gelesen hatte: auch
Urkundenfälscher, Heiratsschwindler und Diebe konnten in Sicherungsverwahrung
genommen werden. Und ehemalige Kleinkriminelle aus desaströsen
Familienverhältnissen, die den Absprung nie geschafft hatten. Bei denen die
Gefängnisaufenthalte sogar noch dazu beigetragen hatten, dass sie weiter
abrutschten.
»Man
sollte meiner Meinung nach die Haft zwingend dafür nutzen, Hilfestellungen für
ein Leben in Freiheit zu geben, anstatt sich auf der Sicherungsverwahrung
auszuruhen. Zeit genug hat man ja«, reagierte sie deshalb ziemlich bissig.
»Klar,
aber die meisten von denen wollen sich doch gar nicht ändern. Schon mal was von
Therapieresistenz gehört? Du müsstest mal mit Peter sprechen, mit was für Typen
der zu tun hat. Absolut unverbesserlich. Der letzte Dreck.« In aller Ruhe
fischte Jörg eine besonders große Paranuss aus dem Schälchen und zerbiss sie
genüsslich, bevor er fortfuhr. »Und wo soll heutzutage das Geld herkommen für
diesen Psychokram, der sowieso nichts bringt? Perlen vor die Säue, wenn du mich
fragst.« Er lehnte sich zurück und legte die Füße auf die Couch. »Also Schatz,
sei nicht naiv. Möchtest du wirklich, dass ein perverser Kinderschänder auf die
Gesellschaft losgelassen wird, nur aus Mitleid mit dem Täter? Damit der sofort
loszieht und das nächste kleine Mädchen vergewaltigt und umbringt?«
»Nein,
natürlich geht es manchmal nicht anders.« Jule schüttelte unwillig den Kopf. Es
fiel ihr schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Trotzdem erschien ihr Jörgs
Argumentation verquer. »Einige Täter müssen bestimmt sehr lange eingesperrt
werden. Zum Schutz der Bevölkerung. Aber man sollte nichts unversucht lassen
und immer im Kopf behalten, dass ein Sicherungsverwahrter seine Strafe längst
verbüßt hat. 15 oder 20 Jahre oder auch länger. Keine
Strafe ohne Schuld, darauf fußt schließlich unter anderem unser Rechtssystem.«
Sie räusperte sich. Warum verstand Jörg sie nicht? Eigentlich war er doch hier
der Jurist. Schnell versuchte sie es andersherum: »Schau mal: Dass die
Sicherungsverwahrung zurzeit reformiert wird, zeigt doch, dass hier einiges im
Argen liegt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat z. B. die nachträgliche SV, also
die, die noch bis kurz vor der Entlassung angeordnet werden konnte, wie es in
Deutschland üblich war,
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