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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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verboten. Weil sie unmenschlich ist und willkürlich.«
    Jörg grinste
freudlos. »Mit dem Ergebnis, dass man einige extrem gefährliche Kaliber
freilassen musste. Tickende Zeitbomben … «
    Zunehmend
wütend unterbrach Jule ihn: »Alte Männer hauptsächlich. Und der geringste Teil
saß wegen Sexualdelikten ein. Außerdem wurde bisher kaum keiner von denen
rückfällig. Ein Zeichen dafür, dass die SV oft zu leichtfertig verhängt und
verlängert wird. Dass Gutachter lieber jemanden hinter Gittern verrotten
lassen, als die Verantwortung zu übernehmen.«
    Jörg
verdrehte die Augen. »Schatz, wo hast du denn das her? Bitte stelle nicht die
Kompetenz solcher Fachleute infrage. Das ist doch albern. Aber sei mal ehrlich:
Wenn jemand, der dir nahe steht, zum Opfer eines Gewohnheitsverbrechers werden
würde, würdest du anders reden, stimmt’s? Ich jedenfalls bin der Meinung, dass
diese Typen ihr Leben in Freiheit verwirkt haben. Endgültig. Die hatten ihre
Chance. Und nicht nur eine. Weg damit. Was anderes hilft nicht.« Jetzt
zwinkerte er ihr zu, lächelte nachsichtig und streichelte ihren Oberschenkel.
»Du magst an das Gute in jedem Menschen glauben, soviel du willst. Ist ja auch
irgendwie süß. Mich wirst du nicht überzeugen. Aber, wie ich schon zu Beginn
sagte: Es ist gut, dass ich kein Strafverteidiger geworden bin!«
    An der
Stelle hatte Jule das Thema gewechselt und war kurz darauf zu Bett gegangen.
Sie wusste, dass der Abend sonst im Streit geendet hätte. Das änderte jedoch
nichts an ihrer Einstellung.
    Auf
Schuld hatte Strafe zu folgen, um einen gerechten Ausgleich zwischen Täter und
Opfer zu schaffen, das sah sie ein. Aber endloses Wegsperren, nachdem die
Schuld abgegolten war, einfach aus Bequemlichkeit? Das konnte nicht die Lösung
sein.
     
    Jetzt im Wohnwagen schaltete
sie den Fernseher an und setzte Kaffee auf. Der Bericht begann pünktlich beim
letzten Röcheln der uralten verkalkten Maschine.
    »Immer
noch keine Spur von dem Schwerverbrecher Winter«, leitete eine rotwangige
Moderatorin in Pudelmütze und dickem Wollmantel ein. Verfroren sah sie aus, wie
sie sich da verkrampft an ihrem plüschigen Mikrofon festhielt, das einem
Staubwedel ähnelte. Hinter ihr sah man schneebedeckte, bewaldete Hänge. Bis zu
den Zähnen bewaffnete Sondereinsatzkräfte flankierten eine schmale Straße. Jule
schluckte, als sie in dieser die Hauptstraße erkannte, die sich durch das Tal
von Steinbach nach Eichweiler schlängelte. Der ›Eifelwind‹ lag nur einen
knappen Kilometer weit weg.
    »Die
Bevölkerung wird dringend gebeten, sich dem Mann nicht zu nähern. Er gilt als
äußerst brutal und gefährlich. Stefan Winter saß nach mehreren Jugendstrafen
von den 48 Jahren
seines Lebens 25 Jahre
in den Hochsicherheitstrakten verschiedener Gefängnisse ein. Dort zeigte er
immer wieder extrem gewalttätige Züge. Besonders strenge Haftbedingungen wie
Einzelhaft und Kontaktverbot zu Mitgefangenen über viele Jahre waren die
Konsequenz. Aber Winter gab sich bis zu seinem Ausbruch uneinsichtig und
aggressiv.
    Seit
der von ihm gestohlene PKW unweit von Steinbach, einem Dorf in der Nordeifel,
aufgefunden wurde, konzentriert sich die Suche nach dem Mörder auf die nähere
Umgebung. Winter ist in Eichweiler aufgewachsen. Aber keiner seiner Verwandten
lebt mehr dort, die Eltern sind lange verstorben. Die Polizei vermutet, dass es
allein die Vertrautheit der Gegend ist, die ihn hergetrieben hat.
    Bislang
gibt es keine Hinweise darauf, dass Winter das Tal wieder verlassen hat. Alle
Ausfahrten sind abgeriegelt. Die Großfahndung läuft mit einem immensen Aufwand
an Personal und Technik.
    Parallel
wird untersucht, wie es zu dem spektakulären Ausbruch aus der
Justizvollzuganstalt hat kommen können. Wie ist Winter an die Schusswaffe
gekommen, mit der er den Wärter in seine Gewalt gebracht hat? Wie war es
möglich, dass niemand die Flucht durch mindestens fünf verschlossene Türen bis
zur Pforte bemerkt hat? Die Anstaltsleitung wird sich vielen unbequemen Fragen
stellen müssen … «
    Jule
schaltete den Fernseher aus. Sie hatte genug gehört. Ihre Unruhe wuchs.
Plötzlich kam es ihr nicht mehr übertrieben vor, dass Michael sie in den Wald
begleiten wollte. Im Gegenteil, sie fand es beruhigend. Und nicht nur das. Sie
freute sich darauf.
     
    Silbern bestäubt funkelten die
Tannen und das nackte Geäst der Laubbäume im Sonnenlicht. Das Knirschen der
Schritte im Schnee und das Rascheln der dicken Winterkleidung untermalten

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