Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
Bau kommen, um alles zu vernichten.«
Sie sah mich verständnislos an. »Liebst du Märchen?« sagte sie. »Du erzählst so schön.«
Ich kam gar nicht auf die Idee, daß ich auch sie in Gefahr bringen konnte durch mein Hiersein und ihre Mitwisserschaft. Sie schien mir gefeit gegen alles Böse.
»Hast du was zu trinken?« sagte ich. »Ich meine, etwas für schwache Nerven.«
»Du meinst etwas Alkoholisches?«
Wir duzten uns mühelos. »Ja«, sagte ich, »ein Cognac oder so etwas Ähnliches würde mir gut tun.«
Sie führte mich hinunter in die Bibliothek. Zwischen erlesenen Ausgaben, Nachschlagewerken, Klassikern, großformatigen Kunstbänden stand eine Flasche Carlos Primero. Sie nahm sie mit nach oben. Ebenso zwei großbauchige Cognacschwenker.
Dann zündete sie eine Kerze an. »Weihnachten«, sagte sie, »ich hasse Weihnachten, aber jetzt gerade ist mir feierlich.«
Ich trank und setzte mich ans Klavier und spielte mehr schlecht als recht »Norwegian Wood« und »Yesterday«. Sie saß im Schneidersitz auf dem Boden, nippte am Cognac und summte die Melodien mit. »Du bist nett«, sagte sie. »Für dein Alter. Mein Vater sollte sich eine Scheibe abschneiden. Er ist lieb, aber ein bißchen steif. Sind in Holland die Männer so ähnlich wie du? Ich meine, lockerer als die Männer bei uns?«
»Man könnte den Eindruck haben, aber das meiste ist Fassade, ist Lebensstilistik. Am besten, du überzeugst dich selbst. Du kannst ja neuerdings jederzeit ins Ausland reisen. Besuch mich doch!«
Sie nippte an ihrem Glas.
»Bist du verheiratet?«
»Nein.«
»Hast du eine Freundin?«
»Nein. Keine richtige. Die letzte hat mich verlassen. Es ist noch nicht lange her.«
»Warum verlassen dich die Frauen? Weil du so groß bist? Draußen größer als drinnen?«
»Du weißt gar nicht, wie richtig du liegst.«
»Wenn du ein Stofftier wärst, dann wärst du eine Giraffe.«
Ihr Lachen ging in ein Gähnen über.
»Ich habe morgen Stunde. Wir sollten zu Bett.« Sie sah meinen verdutzten Gesichtsausdruck und lachte wieder. »Getrennt natürlich. Du kannst in mein Bett, und ich schlafe unten im Wohnzimmer auf der Couch.«
Ich stammelte meinen Dank.
»Und du darfst mir einen Gutenachtkuß geben.«
Sie stand auf und reichte mir ihre Lippen. Sie waren trocken und weich.
Dann nahm sie einen großen Teddy aus ihrem Bett und verschwand.
Ich legte mich angezogen unter ihre Bettdecke und schloß die Augen. Aber der Schlaf wollte nicht kommen. Im Morgengrauen hörte ich die Herden von Giraffen, Gnus und Antilopen über die Savannen galoppieren zusammen mit meinem wie wild schlagenden Herzen.
Neuntes Kapitel
A ls ich aufwachte, schien die Sonne durch weiße Vorhänge, die sich im Wind bauschten. Ich lag an Deck eines schnellen Segelschiffes, das nach Sumatra fuhr. Mein Freund schaukelte über mir in einer Hängematte. Das Meer war unnatürlich grün bis zum Horizont, wie auf einem echten Derbacher.
Dann begriff ich, wo ich wirklich war. In Nadjas Zimmer. Das Fenster stand halb offen. Ich wunderte mich, daß die Luft so gut war, die von dort hereindrang. Mein Schädel fühlte sich an, als ob er in eine Schraubzwinge geraten wäre.
Nadja kam mit einem Tablett ins Zimmer. Sie stellte es auf einem Tischchen ab, das sie neben das Bett geschoben hatte. Tassen, eine Thermoskanne, Butter, Brötchen, Marmelade, russischer Kaviar. Der Sketch spielte im Paradies, und Nadja war meine Geliebte.
»Du hast vielleicht einen Schlaf«, sagte sie. »Als ich das Rouleau hochgezogen habe, hast du nichts gemerkt.«
Sie setzte sich zu mir auf den Bettrand. »Soll ich nicht aufstehen? Ich bin doch nicht krank«, sagte ich. Sie lachte und sagte: »Doch, du bist krank, so verliebt wie du bist, und so verkatert.« Dann gab sie mir einen Kuß auf die Stirn und begann, auf einem Brötchen hellgelben Honig zerlaufen zu lassen. Sie gab es mir in die Hand, schenkte Kaffee ein, erzählte von sich, ihren Plänen. Sie wolle nach dem Abitur in den Westen auf eine Musikhochschule. Vielleicht würde sie es schaffen, von der Musik zu leben. Sie zwitscherte und kaute und sprach mit vollem Mund und lachte an Stellen, wo niemand es erwarten würde, und ich lag da und war wild entschlossen, die Situation für einen Traum zu halten.
Doch dann fiel mein Blick auf eine weiße Kuckucksuhr. Es war Mittag. Ich warf die Bettdecke beiseite und stand auf.
»Willst du schon gehen? Meine Eltern kommen erst heute abend. Du kannst ruhig bleiben. Wir können ein wenig zusammen
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