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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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wunderbaren Geschichten, die diese Gegend hervorbringt! In diesem Buch kannst du es nachlesen.«
    Er schwenkte es wie einen Fächer. »Es ist die Geschichte von Lohengrin, von einem unbekannten Dichter aus Thüringen, aus dieser Gegend, vor sieben Jahrhunderten geschrieben. Ein verrücktes Ding, sag ich dir, ein wahrer Operettenstoff, tausendmal besser als die Csárdásfürstin! Dieser Wagner hat es erkannt, dadurch wurde er der größte Operettenkomponist der Deutschen. Wagner schrieb den Tannhäuser, den Parsifal, den Fliegenden Holländer, alles Bombenoperetten, aber am besten ist der Lohengrin. Weißt du, warum? Es gibt kein deutscheres Stück. Lohengrin will nicht erkannt werden, das ist der Traum aller Männer, auch der holländischen übrigens, diese ihre fixe Idee, ja nicht erkannt werden. Die Geliebte und Ehefrau untersteht sich, ›Wer bist du?‹ zu fragen, und schon ist es passiert. Beim drittenmal haut er ab, er pfeift seinen Singschwan herbei, und ab geht es mit seinem Nachen, auf und davon! Es ist immer dasselbe. Die Frauen wollen wissen, die Männer hauen ab. Ines hat mich heute nacht gefragt, wer ich eigentlich sei und ob ich sie heiraten möchte. Dreimal hat sie es gefragt. Da bin ich abgehauen, jetzt warte ich auf meinen Nachen und meinen Schwan. Du bist mein Schwan, schaff endlich ein Boot herbei.«
    Er war stocknüchtern, aber in gefährlicher Laune. Irgend etwas war ihm zu Kopf gestiegen.
    »Kannst du paddeln, Dick?«
    Er sah mich belustigt an: »Hab ich noch nie gemacht. Aber ich bin Seemann, wie du weißt. Du kannst mich auf alles setzen, was Auftrieb hat, vom Schlachtschiff bis zum Surfbrett.«
    »Die Dinger sind verdammt eng und kipplig. Und du bist nicht gerade ein dünner Hecht.«
    »Wir Dicken kennen unseren Schwerpunkt besser als ihr Dünnen, mein lieber Piet. Verlaß dich drauf, du wirst selten einen Dicken erleben, der aus dem Gleichgewicht kommt. Das liegt daran, daß sein Schwerpunkt fast immer in ihm bleibt. Er gehört gewissermaßen zur Besatzung.«
    »Ich habe ein Boot für uns. Wir werden heute nacht aufbrechen.«
    »Über den Fluß?«
    Ich merkte, daß Dick bereits Feuer und Flamme war.
    »Über den Fluß bis zur nächsten größeren Stadt. Was hast du eigentlich gestern Schreckliches angestellt?«
    »Du meinst im Theater? Ich habe ein bißchen den Affen gespielt. Das war nur konsequent, weil sie mich hier zum Affen gemacht haben. Es war ganz einfach. Ich meine, einen Orang zu mimen. Ich habe meinen Pelz aus einem Teppich gemacht. Rotgefärbtes Schafsfell. Ein Loch in der Mitte. Mit dem Kostüm bin ich auf die Bühne. Ich wollte nur mitsingen. Habe einen holländischen Schlager gesungen. ›Trulla, trulla, o hou jij nog van mij.‹ Kennst du ihn? Wir haben ihn damals oft gegrölt, wenn wir besoffen waren. Irgendwie paßte er nicht zu dem, was sie auf der Bühne gesungen haben. Es gab Krawall. Ich will dir was sagen, ich hau nicht ab wegen dieser Idioten hier, die ich gestern ein bißchen verprügelt habe. Ich hau nur ab, weil ich Sehnsucht nach dem Wasser hab. Wo ist das Boot?«
    »Die Alte hat es, die da hinten im Bahnwärterhäuschen wohnt. Sie hat ein Paddelboot für uns, Dick. Sie ist auf unserer Seite. Sie meint, über den Fluß kommen wir am besten durch.«
    »Ich kenne sie, eine der wenigen Gestalten mit Grips hier. Deshalb gilt sie als plemplem. So einfach ist das.«
    »Wir müssen bis heute abend hier ausharren. Was machen wir so lange? Hast du was zu trinken?«
    »Nichts. Gar nichts, mein Lieber. Du mußt mit Sprache vorliebnehmen. Ich werde dein Märchenonkel sein und dir hier aus diesem Buch vorlesen. Es macht wirklich betrunken.«
    Dick begann leise zu lesen. Leise, mit monotoner Stimme. Ich verstand kaum etwas. Laute aus vergangener Zeit, ein beschwörender Singsang, der mich schläfrig machte. Ich lag ausgestreckt im Kot, so wie schon einmal hier, als es mir gut gegangen war bei einer Frau. Ich schloß die Augen, war gestorben in einem Totentanz von Augenblicken, die sich an den Händen faßten und schwarz wie ein Scherenschnitt gegen den leuchtenden Abendhimmel über den langen, gebogenen Rücken eines Hügels zogen. Ines war dabei, Ingrid, meine letzte Freundin, die andere Ingrid aus Norwegen, Nadja, meine Mutter, Schläftis Mutter, ihr Sohn, Dick. Er war der Anführer, er zog uns alle hinter sich her.
    Wenn man den Kopf in eines der Türmchen unseres Schlößchens steckte, hatte man einen ganz guten Rundblick. Immer wieder beobachteten wir die Umgebung an

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