Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
einer der Verkaufsbuden stehen sah. Dort wurden Vorhangstoffe verkauft. Große weiße Tüllgardinen hingen wie schlaffe Segel herab und bewegten sich leicht im kalten Wind. Ines schlüpfte, als sie mich sah, zwischen die Stoffe und preßte sich eine mit roten Rosen bedruckte Bahn um den Leib. Sie wiegte die Hüften und lachte herausfordernd. »Tragen die Mädchen so was in Hawaii?« rief sie. »Du siehst wirklich gut aus, Ines«, sagte ich. »Was machst du hier? Ich dachte, du bist im Buchladen.« - »Spielst du Aufpasser für meinen Mann? Ich habe zugemacht, nachdem zwei Stunden lang kein einziger Kunde gekommen ist.«
Sie wickelte sich aus der Übergardine und kam auf mich zu. Als sie ganz dicht vor mir stand, so dicht, daß wir uns fast berührten, roch ich ihren Atem, den Schnaps darin und den Geruch von schlechtem Fett. Es war der gleiche Geruch, der auch aus einer Broilerbude kam, in der sich glänzend braune Hähnchen vor dunkelrot glühenden Heizschlangen drehten.
»Möchten der Herr vielleicht ein Buch bei uns kaufen?« sagte sie. Ich nickte. »Zumindest möchte ich mir euer Angebot ansehen.«
Ines lotste mich in eine Seitenstraße zu einem grauen Haus. Über dem Schaufenster stand »Das Buch« in rosa Leuchtbuchstaben, von denen das »c« bedenklich flackerte. Ich stellte mir vor, daß dort bald nur noch »Buh« zu lesen war. Sie hatten sich auch nicht die Mühe gemacht, den alten, auf die Fassade gemalten Schriftzug »Konsum« unleserlich zu machen.
Drinnen im Laden herrschte Grabeskälte. Ein Blick auf die Regale zeigte mir, wie es mit dem Geschmack des Publikums bestellt sein mußte. Sehr viele Paperbacks mit reißerischem Titel, kaum richtige Literatur. Ines ging auf einen Vorhang im Hintergrund zu, zog ihn beiseite, drehte sich um und machte mit dem Finger eine lockende Bewegung. Ich folgte ihr in ein winziges Zimmer mit einer Schlafcouch, einem Schreibtisch mit PC und einem Waschbecken. Ines schaltete einen elektrischen Heizlüfter an und begann, mit einem Tauchsieder Wasser zu kochen. Dann saßen wir nebeneinander auf dem Sofa und wärmten unsere Hände an zwei großen Steinguttassen mit Hibiskustee. Die Couch war so durchgelegen, daß wir unweigerlich gegeneinander rutschten. Ines legte ihren Kopf zutraulich gegen meine Schulter, was ich durchaus als angenehm empfand. Irgendeine Wärme begann durch uns hindurch zu zirkulieren.
»Was ist eigentlich los mit Dick?« fragte ich. »Leidet er an Verfolgungswahn?«
»Dick ist ein schwacher Mensch«, sagte sie. »Ich habe noch nie einen solchen Bären gesehen mit dem Gemüt eines Kleinkindes. Eigentlich hab ich Schutz gesucht bei ihm. Aber nun ist er es, der Schutz bei mir sucht.«
»Du hast keine Ahnung, warum er sich bedroht fühlt? Hat er dir nichts erzählt?«
»Er hat einmal ein Buch zugeschickt bekommen, das er gar nicht bestellt hatte. Eine Zeitlang lag das Buch auf seinem Nachttisch, dann war es verschwunden. Seitdem ist er so. Er hat mich geschlagen. Hier!« Sie zog den Pullover hoch und zeigte mir ihre Brust, über die rote Striemen liefen. Sie tat es ganz unbefangen, wie bei einer Röntgenreihenuntersuchung.
Durch den offenstehenden Vorhang sah ich draußen vor dem Schaufenster einen Menschen stehen. Er hatte die Stirn an die Scheibe gepreßt und die Hände neben die Schläfen gelegt, wie jemand, der Licht abschatten will, um in einen dunklen Raum sehen zu können.
»Ines, wir werden beobachtet«, sagte ich. Sie stand auf und ging nach nebenan. Ich hörte die Türschelle. Dann kam sie zurück und zog den Vorhang zu. »Da war niemand«, sagte sie.
Sie kniete nieder und preßte ihr Gesicht in meinen Schoß. Leise begann sie, sich hin und her zu bewegen. Dann sagte sie etwas. Ihre Stimme klang dumpf. Ich spürte, wie ihr Atem den Stoff meiner Hose erwärmte. »Hol mich hier raus, Piet.«
Im Nebenraum ging wieder die Türschelle. Ich war noch nie in einem Buchladen gewesen, in dem es eine solche Einrichtung gab. Offenbar war es noch die alte Ladenklingel des Konsums. Ines hob den Kopf und legte den Finger an den Mund. Ich strengte mich an, mir einen Reim auf die Geräusche nebenan zu machen. Da waren Schritte, dann legte jemand einen Gegenstand hin, danach kamen die Schritte näher. Ich wollte mich erheben, aber Ines hatte ihre Arme um meine Beine geschlungen. Sie zitterte. Und auch ich hatte Angst.
Der Vorhang wurde zur Seite gerissen. Im Gegenlicht eine schwarze Silhouette. »Dick!« rief ich. Dann zischte etwas und traf mich wie ein
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