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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Elend. Nicht einmal Daumendrehen hat er gelernt, um so wenigstens die Strömung der ablaufenden Zeit in einem kleinen Mühlrad zu nutzen.
    Der ehemalige Kaiser der Deutschen wird diese Demütigung nie mehr vergessen, und er lebt immerhin noch 23 Jahre in seinem Exil in Doorn in Holland. Damals fiel er wohl in einen endlos tiefen Brunnen, und nie mehr gelang es ihm ganz, ans Tageslicht zurückzufinden, in der Liebe nicht, beim Genießen von Tee und Speisen nicht, beim Jagen nicht, beim Lesen nicht. Immer war nun ein wenig dumpfe Verzweiflung dabei, wie bei allem, was man am Grunde eines Loches tut. Wahrscheinlich hat sich Wilhelm damals im Bahnhof von Eijsden ein wenig totgewartet.
    Als er endlich auch offiziell ins Land gelassen wird und in seinem provisorischen Refugium landet, bittet er um eine große Kanne englischen Tees. Sie soll ihn, den Emigranten, aufwärmen, seine Lebensgeister wiedererwecken, aber während er die Tasse aus edelstem Chinaporzellan zum Mund führt, spürt er, daß seine Lippen taub sind.
    Der Vortrag war zu Ende. Ich wartete. Kein Applaus. Nichts geschah. Als ich trank, spürte ich, daß ich kein Gefühl in den Lippen hatte. Jetzt sah ich, daß der Raum, in dem wir uns befanden, sehr viel von einem Wartezimmer an sich hatte. Aber worauf warteten wir? Am Nebentisch saß ein junger Mensch, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Er wirkte sympathisch, schüchtern, weniger selbstbewußt als die anderen.
    Der Mensch mit dem Menjoubärtchen und der klaren Aussprache erhob sich endlich und begann zu applaudieren. Dabei wandte er sich auffordernd nacheinander jedem von uns zu. Wir klatschten alle. »Meine Herren«, sagte er, »wir haben soeben eine historische Situation nachempfinden können. Die Kränkung des deutschen Kaisers durch die holländische Regierung.«
    Sein Blick ruhte auf mir. Auch die anderen sahen mich an. Kannten sie meine Nationalität? Ich spreche sehr gut Deutsch, aber ich habe den typischen holländischen Akzent, den alle Deutschen aus dem Fernsehen zu kennen scheinen, weil einige der bei ihnen beliebtesten Showmaster aus meiner Heimat kommen.
    Einem plötzlichen Impuls folgend, setzte ich mich zu meinem Nachbarn an den Tisch und begann ein Gespräch. Er wirkte sehr sanft, hatte trotz seines ausgeprägten Backenbartes und seines dichten wolligen Haares etwas Säuglingshaftes. Seine Stimme war wohltuend warm und freundlich. Er erzählte mir auf mein Nachfragen, daß er male, ohne davon leben zu können. Er sei auf der Suche nach einer Welt ohne Aggressionen. Er habe eine vage Vorstellung von ihr, eine Art Innenlandschaft, in der es keine Unterschiede zwischen Leben und Tod gäbe.
    »Hast du für den Buchhändler ein Bild gemalt?« fragte ich.
    Die Frage schien meinem neuen Freund unangenehm zu sein. Er sah zur Seite und antwortete nicht. Dann stand er auf und ging hinaus. Er wollte wohl, daß ich folgte. Er hatte auf seinen Bierdeckel einen winzigen Pfeil gemalt. Seine Jacke hing über dem Stuhl, also war er wahrscheinlich zum Klo gegangen.
    Das WC war in einem anderen Flügel des Schlosses. Man mußte den Hof überqueren. Die Tür stand offen. Tatsächlich war er dort.
    Wir standen nebeneinander an den Urinalen.
    »Ich wohne auf dem Schloß. Im zweiten Giebel, ganz oben. Mein Name steht an der Tür. Derbacher. Ich heiße Heinz.«
    Es klang wie eine Einladung. Ich nickte. »Ich heiße Piet. Wann?«
    »Halb zwölf.«
    »Heute?«
    Er nickte. Die ganze Zeit über tat er nur so, als ob er pinkelte.
    Die Tür ging auf, und der Kerl mit dem Bärtchen erschien. Er trat an das andere Urinal. Ich sah aus den Augenwinkeln, daß er die rechte Hand in der Hosentasche hatte, während er sein Geschäft machte. »Kennen Sie Ines?« fragte er unvermittelt und ohne mich anzusehen. Neben mir rauschte die Spülung. Derbacher war verschwunden.
    »Sie meinen die Hilfe von Herrn Kuyper?«
    »Genau die. Ein nettes Ding, finden Sie nicht?«
    Er ging zum Waschbecken, wusch sich die Hände und streifte sich die Haare glatt zurück. Ich sah seine wasserblauen Augen im Spiegel. Sie gefielen mir nicht.
    »Ich kenne Ines flüchtig«, sagte ich. »Ich glaube Ihnen gern, daß sie ein nettes Mädchen ist.«
    »Kommen Sie an unseren Tisch«, sagte er. »Wir sind gastfreundliche Leute in diesem Land.« Eine Kobra hätte eine Maus nicht freundlicher einladen können.
    Der Maler war gegangen. Man zog einen Stuhl an den großen Tisch, und ich setzte mich. Ich bestellte ein hiesiges Bier. Als ich das Glas nach einem

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