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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Arroganz der Wessis, auf die Lebenstüchtigkeit der Mitläufer. Dick war nicht hier. Hier hätte er sich wohl gefühlt. Das Mitropalokal kam mir wie ein Vorposten der Freiheit vor.
    Ich trank am Tresen einen großen Korn und ging wieder. Nirgends ein Dick, auch die Männer am Würstchenstand waren verschwunden. Es gab nur eine Erklärung, mein Freund hatte sich über die Gleise davongemacht. Vielleicht war er schlau genug gewesen, seinen Aufpassern auf diese Weise zu entkommen. Ein Zug war jedenfalls die ganze Zeit über nicht abgefahren.
    Den Rest des Nachmittages verplemperte ich in einem Café. Ich versuchte, Klarheit in meinen Kopf zu bekommen. Als Hilfsmittel benutzte ich einen Notizblock und einen Kugelschreiber, den ich im hiesigen Kaufhaus erstanden hatte. Wieder hatte mich das fast inbrünstige Kaufverhalten der Leute überrascht. Die Sachen waren nicht billig, Jeans, Lederjacken, T-Shirts, Parfums, Schuhe, Getränke, CDs, alles westlicher Standard, westliche Preise, und überall Schlangen vor den Kassen.
    Ich wurde müder und müder, kritzelte Linien, schrieb Namen darüber, Ines, Vielbrunn, Schläfti, Dick, Derbacher, Wilhelm, Lilli, die die verschleierte Kaiserin gesehen haben wollte, ihr Mann, von dem mir jetzt auffiel, daß er sich mir nicht mit Namen vorgestellt hatte. Es ergab sich kein Muster, das Schlüsse zuließ. Nur eines setzte sich in meinem müden Schädel fest: Ich mußte herausfinden, was es mit der freien Theatergruppe der Nachtlöhner auf sich hatte, und ich mußte noch einmal ins Schloß, und zwar in seine unterirdischen Regionen.
    Ich ging ins Kino. Wieder war es, als setzte ich mich in eine Zeitmaschine, um in die fünfziger Jahre zurückzureisen. Dieser heruntergekommene Bau mit der flackernden Neonschrift an der Fassade, wobei die Buchstaben »K« und »i« ständig ausfielen, so daß die Botschaft »no« wie ein Appell in rosa Flammenschrift an der Wand erschien, ein Menetekel, das gut paßte, wie ich fand. Drinnen war es, wie ich es aus der Jugendzeit kannte, als ich mich als Vierzehnjähriger für sechzehn ausgab, um einen ab achtzehn zugelassenen Film sehen zu können. Der lange Flur, die Kerzenlampen mit künstlichen Wachstropfen rechts und links, der kleine Verschlag mit dem Schalter, wo es Karten, Drops und Lakritzrollen gab, deren weichgekautes Ende man in die Haare der Mädchen kleben konnte, um zwei Reihen dahinter daran zu ziehen. Der zerschlissene Plüsch der Sitze, die spakige Stofftapete, die wie ein müder Mond verlöschende große Kugellampe an der Decke. Als sei ich dreißig Jahre zurückgebeamt worden in ein Damals, das genauso schauerlich spannend wie bedrückend gewesen war, ein Morast der heimlichen Vergnügungen, wobei es das Höchste war, sich einen Bonbon in den Mund zu schieben, während Brigitte Bardot daran ging, ihre Brust vor einem Spiegel zu entblößen.
    Es war voll. Viele Gesichter kannte ich aus dem Kulturkaffee, dem Café Harmonie und dem Billardcafé. Man zeigte eine amerikanische Komödie neuesten Datums. Diese Mischung aus Nacktszenen, Schießereien und dummen Dialogen an der Cocktailbar wirkte hier völlig unverständlich. Während einer bonbonfarbenen Kopulation auf einem Wasserbett riß der Film, und der trübe Mond ging auf.
    Fünf Minuten nur raschelnde Tüten, eng beieinandersitzende Pärchen, Flüstern. Als es weiterging, wirkte die Stille im Raum so aufmerksam wie schon vorher. Kein einziger Lacher über die Verrenkungen und grotesken Regieeinfälle des Filmteams. Dieser Film mochte nicht jugendfrei sein, aber die Jugend war es offenbar auch nicht, und so kam es zu keinerlei Wirkung.
    Anschließend stärkte ich mich in der Kinobar mit einem doppelten Doppelkorn, holländisch randvoll eingeschenkt von der Bardame-Kassiererin, die einer Operettenkönigin glich, Marika Rökk, obszön verlebt und verwelkt wie eine Blume auf dem Schminktisch der Zeit.
    »Gehen Sie auch in die Csárdásfürstin?« fragte sie. »Das ist noch etwas fürs Herz, für die Ohren, für die Augen, den ganzen Menschen! Diese amerikanischen Filme können da nicht mithalten, junger Mann. Die sind nur für den Unterleib.«
    Ich ging, beeindruckt von so viel Kunstverstand. Es war kurz vor zehn, und ich beeilte mich, pünktlich zu meiner Verabredung mit Schläfti zu kommen. Das Billardcafé war brechend voll. In einem kleineren Saal gab es mehrere Poolbillardtische, die alle besetzt waren. Der große Saal daneben verfügte nur über einen einzigen Tisch, der in der Mitte unter

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