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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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dumpf durch das Fensterglas.
    »Dick«, rief ich, »ich muß mit dir reden. Wegen Ines.«
    »Hau endlich ab«, brüllte er, »du hetzt mir noch die ganze Bande auf den Hals! Glaub doch nicht, daß du nicht beobachtet wirst!«
    Ich drehte mich, sah die Straße hinab, musterte die gegenüberliegenden Baumreihen, die Schuppen in den Nachbargärten. Nirgends eine Menschenseele. Ein scharfes Geräusch ließ mich zusammenschrecken. Dick hatte den Rolladen wieder herabgelassen.
    Ich kletterte über den Zaun und ging ums Haus. Auf der Rückseite gab es einen Geräteschuppen. Seine Tür stand halb offen.
    Ich schlüpfte hinein und wartete eine Weile mit klopfendem Herzen. Als ich auf einen Rechen trat und sein Stiel mir gegen den Hinterkopf schnellte, war es mit meiner Geduld zu Ende.
    Ich hämmerte mit den Fäusten gegen die Hintertür, und diesmal hatte ich Erfolg. Dick öffnete.
    »Idiot«, sagte er. »Du machst die ganze Nachbarschaft rebellisch.«
    Ich war wütend. »Dick, wir sind immer noch Landsleute. Ich habe ein Recht auf deine Gastfreundschaft.«
    »Sie haben Derbacher umgelegt, so wie sie mich umlegen werden«, sagte Dick mit düsterer Stimme, während er eine Flasche Oude Kuyper aus dem Küchenschrank holte. »Hier. Besaufen wir uns. Es ist die letzte. Insofern stimmt das Timing.«
    »Hör endlich auf, deine eigene Leichenrede zu halten.«
    Er hob sein Glas. Es war heimatlich eingeschenkt. Bis zum Rand, mit sich darüber wölbender, von den van der Waalschen Kräften zusammengehaltener Oberfläche. Erstaunlich, daß Dicks Hand so wenig zitterte. »Fröhliche Weihnachten«, sagte er.
    »Und ein gutes neues Jahr«, sagte ich.
    Wir tranken, und einen Augenblick lang glaubte ich, einen Rauschgoldengel auf der Anrichte zu sehen, der uns beschützte.
    »Ich werde dir etwas zeigen, falls du immer noch meinst, ich leide an Verfolgungswahn«, sagte Dick. Ich folgte ihm in sein Arbeitszimmer. Auch hier waren die Rolläden heruntergelassen.
    Er knipste das Licht an. »Sieh mal, was sie gemacht haben.«
    Mein Herz krampfte sich zusammen. Das Bild von Sumatra. Es hing an seinem Platz, aber es war schrecklich verändert. Die silberne Mondlichtstraße war jetzt dunkelrot. Schwärzliche Tropfenbahnen waren bis über den Rahmen hinabgerollt.
    »Es ist Blut«, sagte Dick. »Ich möchte wetten, sogar Menschenblut.«
    »Warum haben sie das getan?«
    Dick lachte kurz auf. »Für einen Polizisten fragst du reichlich naiv. Die Rache für das Billardtuch. Wie heißt es so schön? Auge um Auge, Zahn um Zahn. Seele um Seele, müßte man hinzufügen.«
    »Ich habe dich in der Stadt gesehen. Ich bin dir gefolgt. Am Bahnhof hab ich dich verloren.«
    Dick wirkte einen Moment zufrieden. Fast war er wieder ganz der alte, der kindliche Träumer. Er gab noch einen Genever aus.
    »Ich habe meine Beschatter mit dem gleichen Trick abgeschüttelt wie offenbar dich, mein lieber Piet. Bin einfach über die Gleise. Bahnhöfe verführen jeden dazu zu glauben, man würde ihre Einrichtungen auch benutzen. Keiner hat so viel Phantasie, sich vorzustellen, wie einfach es ist, über Bahngleise zu gehen und auf der anderen Seite im Gebüsch zu verschwinden. Es ist nämlich verboten. Da sind selbst die größten Killer überfordert mit ihrer Vorstellungskraft.«
    »Wo ist Ines?«
    »Abgehauen. Einfach so. Ohne Abschiedsbrief. Das wäre auch nicht ihre Art. Sie konnte kaum schreiben. Dafür hat sie mir das hinterlassen.« Er tippte sich an die Stirnwunde. »Mit einer halbvollen Geneverflasche. Ich habe ihr auch eine gelangt, aber viel zärtlicher.«
    »Ines hat mit mir geschlafen«, sagte ich.
    »Ich weiß. Das war mir vom ersten Moment an klar. Es ist ihre Art, sich die Männer, die sie interessieren, vom Leibe zu halten.«
    Mir fiel jetzt erst auf, wie schlecht Dick aussah. Es waren weniger die Wunde, die fahle Hautfarbe, die Trinkerschwellungen unter den Augen, der ungepflegte Bart, das schmutzige Hemd. Es war seine Haltung. Er wirkte unecht. Wie ein ausgestopftes Tier, wie jener Affe, jener Orang Utan aus seinem Schiff, dessen Glasaugen und mottenzerfressener Pelz einen seltsam realistischen Eindruck von Leben erweckt hatten, einem Scheinleben allerdings, in Form gebracht mit dem Stroh der Hoffnungslosigkeit.
    Er schenkte schon wieder die Gläser voll. »Fröhliche Weihnachten«, sagte er noch einmal.
    »Dick, es hilft nichts, wenn wir uns hier betrinken, obwohl mir auch danach zumute ist. Warum gehst du nicht zur Polizei?«
    Er lachte. »Also wirklich, du

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