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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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kommt er wieder hier vorbei.«
    »Was beunruhigt dich denn so?«
    »Die Sache mit Heinz. Es wird immer brutaler hier. Die Leute sind schon zu lange ohne Hoffnung.«
    Er hob beide Arme und senkte sie wieder. Wegen der schlaff herabhängenden Hände sah es grotesk aus.
    »Sag mal, Schläfti, war es wirklich ein Unfall, oder haben sie dich zum Krüppel geschlagen?«
    Er blieb stehen und sah mich voller Entsetzen an. Dann wandte er sich ab und ging die Schloßauffahrt hinab Richtung Stadt.
    »Du wolltest mir doch helfen, Schläfti!«
    Er drehte sich um und sagte: »Sie proben in der ›Grünen Grotte‹.« Dann lief er weiter, die Hände in seinen Jackentaschen vergraben. Ehe er aus meinem Blickfeld verschwand, rief er mir noch etwas zu. Es klang wie »Laß ab«. Dreimal rief er es. »Laß ab!«
     
    Im Innenhof war geräumt worden. Der Holzstapel war ordentlich geschichtet, die Axt steckte im Block. Niemand war zu sehen, an der Tür zum Archiv klebte ein Zettel. »Bin am Nachmittag wieder da. Dr. V.«
    Ich machte mich auf den Rückmarsch. Es war Mittag, und die Stadt wimmelte vor einkaufenden Menschen. Ich ging ins Kaufhaus, in die Abteilung elektronische Unterhaltung. Hier gab es alles, was es auch bei uns gibt. Elektrische Orgeln, Hifi-Anlagen. Ich entschloß mich, mir ein Weihnachtsgeschenk zu machen.
    Zehn Minuten später verließ ich das Kaufhaus mit einem tragbaren CD-Player und einer Aufnahme der »Winterreise«. Es war eine andere Version als die, die mir meine Mutter geschenkt hatte. Die Stimme des Sängers war weniger exakt, aber sie war deutscher, düsterer, voller leicht verhalltem Gefühl und einem suggestiven Tremolo. Ich lag in meinem Zimmer auf dem Bett und lauschte. Die Musik wirkte wie eine Droge: »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus...«
    Das Bett war ungemacht. Es roch immer noch nach Ines. Ich schlief ein, mit dem Kopfhörer auf. »Am Brunnen vor dem Tore...« Ein Wiegenlied, das ich auch im Schlaf noch zu hören meinte.
    Drei Stunden später stand ich wieder vor der Tür des Archivs. Der Zettel war verschwunden. Ich klingelte. Die Tür öffnete sich so schnell, als hätte jemand hinter ihr gelauscht.
    Es war das Mädchen, das die Buchseiten gebunden hatte. Sie trug eine Schürze und roch nach Bratenfett. Ehe sie etwas Abweisendes sagen konnte, war ich schon durch die Tür. »Ich muß unbedingt Herrn Doktor Vielbrunn sprechen«, sagte ich.
    Sie ging stumm voran durch den dunklen Vorraum, dann klopfte sie an seinem Arbeitszimmer. Ich hörte seine volle, tiefe Stimme, sah, wie sie die Tür einen Spalt öffnete, den Kopf hineinsteckte und etwas erklärte, wahrscheinlich wer der Besucher war.
    Doktor Vielbrunn erschien. Er wirkte bei weitem nicht mehr so freundlich wie beim erstenmal. »Sie kommen zu einer ungewöhnlichen Zeit, junger Mann«, sagte er.
    Er hatte eine Serviette umgebunden, und seine Mundpartie glänzte von Fett. »Wir bereiten gerade das Festessen vor. Für unsere Alten im Heim. Ich muß Sie bitten, Ihre Wünsche knapp zu formulieren.« Er sah auf die Uhr.
    Ich hörte Stimmen aus einem Nebenzimmer und auch das Klingen von Gläsern.
    »Ich habe nur eine Frage, dann gehe ich wieder, Herr Doktor. Bitte sagen Sie mir, gab es hier früher eine Laientheaterspielgruppe?«
    »Wie kommen Sie denn darauf?«
    Seine Stimme hatte plötzlich eine unglaubliche Schärfe, dann aber milderte sie sich wieder zu seiner typischen jovialen Freundlichkeit. »Ja, doch, gewiß. Sie haben ganz recht. Es gab mal so etwas hier bei uns auf dem Schloß. Jetzt im Sommer wird ja auch im Hof gespielt, aber früher gab es ein richtiges kleines Theater hier mit einem festen Ensemble.«
    »Wann war das etwa?«
    »Nun, es war während des Krieges. Des ersten, um genau zu sein. Manchmal verwechsle ich sie fast, wissen Sie, die beiden Kriege.« Er lachte. »Typisch für den Fachmann. Er weiß zuviel und verliert dabei den Blick für die Nuancen. Wir haben beide Kriege verloren, im gewissen Sinne war es ein und derselbe Krieg, der in zwei Phasen verlief.«
    »Und heute, wird heute nicht mehr dort gespielt?«
    »Selten, junger Mann. Gastspiele zuweilen. Aber ich muß jetzt wirklich wieder an die Arbeit. Kommen Sie nach den Feiertagen, wenn Sie noch Fragen haben.«
    »Nur noch eine Information bitte. Wo ist die Bühne?«
    Es war deutlich zu merken, wie lästig ich ihm war. »Im Dachstuhl des Torhauses«, sagte er knapp. »Sie können dort, wenn Sie wollen, morgen eine bekannte Operette sehen. Aber ich muß jetzt

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