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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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bist naiver, als die Polizei erlaubt. Vielleicht sollte ich einen Privatdetektiv konsultieren. Weißt du, daß wir hier einen haben? In diesem Drecksnest gibt es tatsächlich Leute, die Leute beschatten lassen, aus Eifersucht vielleicht oder wegen Geld. Und weißt du, was das Tollste ist? Der hiesige Leiter der Detektei war früher Obermacker der Stasi. Du kannst dir vorstellen, über was für gute Informationen er verfügt. Und du meinst wirklich, ich sollte mich in dieses Dickicht von Erpressungen, Privilegien und Heuchelei begeben, um meine Rechte vertreten zu lassen? Mein lieber Piet, du scheinst nicht zu wissen, wo du bist. Du glaubst, wir befänden uns in einem freien Land. Du meinst, die Mauer sei gefallen! Ich sage, sie ist mitnichten gefallen, sie ist nur neu verlegt worden, diesmal perfekter, undurchlässiger, mit besseren Schießanlagen und vor allem billiger, denn sie führt direkt um die Köpfe herum, über den Augenbrauen, um die Stirn, die Ohren, den Hinterkopf. Keiner kann hier mehr ausbrechen, kein kühner Gedanke mehr, keine armselige Phantasie über diese perfekte Mauer klettern, und das Beste daran ist, man hat die Mauer immer dabei, auch wenn man nach Haiti fährt oder nach Sumatra. So und nicht anders ist es, und nun darfst du gehen und weiter Weihnachten feiern, lieber Piet. Und mich läßt du besser in Frieden. Ich habe jetzt noch eine Woche, und die will ich auf meine Weise verbringen, verstehst du. Ich bin nämlich depressiv. Und Depressive lassen sich nicht so ohne weiteres um das einzige betrügen, was sie haben: um ihr Selbstmitleid.«
    Er reichte mir die Hand, und ich nahm sie. »Eine letzte Frage, Dick, was weißt du über diese Theatergruppe ›Die Nachtlöhner‹ und ihren Boß? Wie ich vermute, ist es dieser Kerl, gegen den du im Billard gewonnen hast.«
    Dick legte seine Hände schwer auf meine Schultern. Einen Moment dachte ich, auch er würde jetzt mit mir Walzer tanzen. Aber er schüttelte mich nur, daß mir die Zähne aufeinanderschlugen.
    »Hau endlich ab!« brüllte er. Er zerrte mich zur Haustür, schloß sie auf und stieß mich hinaus. Seine Kraft war so groß, daß ich nur mit Mühe das Gleichgewicht behielt. Ich ging am Fluß entlang zurück. Auf der Brücke lief mir Schläfti über den Weg. Er trug ein Stirnband, auf dem »Frohes Fest« eingestickt war. »Ein Geschenk von meiner Mutter«, sagte er. »Heute morgen hat sie mir beschert.«
    »Ich würde gerne deine Mutter kennenlernen, Schläfti. Lebt sie noch auf dem Schloß?«
    Schläftis Gesichtsausdruck verdüsterte sich. »Meine Mutter«, sagte er, »ist eine gute Frau, aber nicht mehr ganz richtig im Kopf. Sie lebt nicht mehr im Schloß, seit ihrem... ihrem...«
    »Selbstmordversuch?«
    »Ja«, sagte er zögernd. »Sie hat versucht, sich umzubringen. Da hat man sie fortgeschafft, in eine Anstalt. Ins Altersheim, meine ich, aber das ist eine Art Anstalt, ein Irrenhaus. Nach der Wende ist sie wieder herausgekommen. Jetzt lebt sie am Bahndamm, in dem alten Bahnwärterhäuschen. Sie mag es, wenn die Züge vorbeidonnern.«
    »Kann ich sie nicht mal besuchen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Schläfti, »Besuch regt sie immer auf. Vor allem Fremde. Aber du bist ja kein richtiger Fremder mehr. Ich werde ihr von dir erzählen. Dann kannst du sie besuchen. Am besten übermorgen. Ja, das wird am besten sein.«
    Ich erzählte Schläfti, daß ich noch mal zu Doktor Vielbrunn wolle.
    Mein Freund wollte mich unbedingt begleiten. »Die mögen dich nicht da oben«, sagte er. »Es ist besser, ich komme mit. Vor mir haben sie Respekt. Sie wissen genau, daß ich das Schloß kenne wie kein anderer.«
    »Was ist mit dem Theater«, fragte ich. »Wo wird im Winter gespielt?«
    »Es gibt eine Bühne im Torhaus. Sie spielen manchmal Operetten dort und andere Sachen. Moderne Stücke.«
    »Und die Proberäume, wo sind die? Und die Maske? Alles im Torhaus?«
    Schläfti verfiel ganz gegen seine Art in Schweigen. Überhaupt erschien er mir verändert, weniger selbstsicher.
    »Beunruhigt dich etwas, Schläfti?« fragte ich.
    Er starrte vor sich hin. Wir gingen durch den Schnee, in dem eine braune Aschespur so schwankend verlief, als hätte ein Betrunkener gestreut.
    »Man sollte einfach abhauen«, sagte er nach einer langen Pause, in der er nachzudenken schien. »Mir hat ein LKW-Fahrer angeboten, mich in die Türkei mitzunehmen. Er will alles bezahlen, sagt er. Wenn er nur jemand hätte, mit dem er sich die lange Strecke über unterhalten könnte. Bald

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